Zusammen mit allen anderen hatte sich auch Jesus taufen lassen. Danach, als er betete, öffnete sich der Himmel. Der Heilige Geist kam sichtbar auf ihn herab, anzusehen wie eine Taube. Und eine Stimme sagte vom Himmel her: «Du bist mein Sohn, dir gilt meine Liebe, dich habe ich erwählt.» (Lukas 3:21-22)
Das ist die Strafe Gottes, sagte die Kirche, als meine Freunde an Aids starben. Dieses Bild widme ich Tommy und Magnus, die mich lehrten, dass wir uns wiedersehen werden.
Jesu Taufe war sein Coming-Out als Messias. Da begriff er, welchen Weg sein Leben gehen würde. Das ist für mich ein Gleichnis für das Coming-Out als Homosexueller – das Begreifen, welchen Weg man beschreiten muss.
Predigt über Lukas 3,21+22
von Ulla Franken, Emmaus- Ölberg- Kirchengemeinde Berlin Kreuzberg
Und es begab sich, als alles Volk sich taufen liess und Jesus auch getauft worden war und betete, da tat sich der Himmel auf, und der Heilige Geist fuhr hernieder auf ihn in leiblicher Gestalt wie eine Taube, und eine Stimme kam aus dem Himmel: Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.
Liebe Gemeinde! Von diesen Worten aus dem Lukasevangelium ist Elisabeth Ohlsons Taufbild inspiriert. Ich möchte Sie jedoch zunächst einladen, Elisabeth Ohlsons Bild noch einen Moment beiseite zu lassen und sich eine ganz andere Szene vorzustellen:
In einem grossen Vortragssaal sind einige hundert Menschen versammelt. Es sind bedeutende, gutgekleidete Menschen, Professoren, Politiker, Prominente, und sie erwarten den Redner des Abends. Er hat sich auf diesen Vortrag aufs Sorgfältigste vorbereitet; von dem Erfolg an diesem Abend hängt vieles für ihn ab. Nun tritt er auf und beginnt seinen Vortrag: «Sehr geehrte Damen und Herren», wird er sagen, und schon bei diesen ersten Worten ist er ein wenig irritiert. Denn das Publikum ist unaufmerksam, tuschelt, vereinzelt wird leise gelacht. Dennoch fährt der Redner fort. Doch der Saal wird immer unruhiger, bis schliesslich nach einigen Minuten das ganze versammelte Publikum schallend lacht. Und als der Redner an sich herunterguckt auf der Suche nach irgendetwas an seiner Erscheinung, das seine Zuhörer derartig ablenken könnte, stellt er mit blankem Entsetzen fest, dass er nackt ist; nackt bis auf die Haut…. In diesem Moment ist der Alptraum zu Ende, und der Mann erwacht aus seinem Schlaf.
Der eine oder die andere von Ihnen, liebe Gemeinde, wird einen solchen oder ähnlichen Traum selber schon einmal geträumt haben. Neben Fallträumen, in denen wir ins Bodenlose stürzen, gehört auch der Traum, in dem wir uns plötzlich nackt vor einer Gesellschaft vorfinden, zu den klassischen Alpträumen. Sigmund Freud, der erste Forscher in der Psychologie, der sich intensiv mit der Bedeutung von Träumen beschäftigte, vermutete bei diesem häufigen Traummotiv noch sexuelle Hintergründe. Die heutige Traumforschung stimmt hingegen weitgehend darin überein, dass das plötzliche Nacktsein im Traum in erster Linie ein Symbol für unsere Angst ist: die Angst, in unserem wahren, ungeschützten, ungeschminkten und unverdeckten Charakter entdeckt und entlarvt zu werden. Ein Traum, der uns erbarmungslos in das Loch fallen lässt zwischen den Ansprüchen, die von anderen und auch von uns selber an uns gestellt werden und dem, was wir ohne alle unsere Fassaden letztendlich sind: nackt, verletzlich und armselig.
Vielleicht liegt in dieser tiefenpsychologischen Dimension der Nacktheit mehr noch als in ihrer erotischen Dimension eine Erklärung für die von vielen als so besonders provokant empfundene Wirkung von Elisabeth Ohlsons Taufbild. Vielleicht lenken Fragen wie die, wieso dieser Jesus ganz offensichtlich nicht beschnitten ist, oder warum das Tuch nicht einfach drei Zentimeter höher hängen kann, ab von der ja vielleicht viel wichtigeren Frage, wie nackt wir uns machen müssen, um uns vom Wasser der Taufe berühren zu lassen. Wieviel Ängste wir zulassen müssen, um eine Ahnung davon zu bekommen, was Erlösung durch die Taufe und durch den Glauben bedeutet. Etwas davon klingt an im Taufspruch aus der Apostelgeschichte: «»Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden.»» Wer immer das passende Outfit bereit hat, wer auf keinen Fall riskieren will, auch mal nackt und bloss dazustehen, der braucht einen solchen Zuspruch nicht.
Elisabeth Ohlson macht ihren Jesus nackt für die Taufe. Noch einmal so nackt wie bei der Geburt. Sie präsentiert ihn in aller möglichen geschöpflichen Schönheit und geschöpflichen Verletzlichkeit. Und Johannes, der Täufer, gibt beides in seiner Berührung eindrücklich wieder. Ich kenne nicht viele Bilder, auf denen sich durch eine einzige Berührung so gleichzeitig Schönheit und Verletzlichkeit darstellt.
In den Briefen des Neuen Testaments wird der christliche Glaube verschiedentlich mit einem Kleid verglichen. Im Kolosserbrief beispielsweise heisst es: «»So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.»»
Die Nacktheit soll also mit einem neuen, anderen Kleid bedeckt werden. Aber unter diesem Taufkleid aus Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, Vergebung und Liebe bleiben wir nackt wie alle anderen. Mit unserem Bekenntnis zum Christsein legen wir weder die erotische Schönheit noch die Verletzlichkeit oder auch Fehlerhaftigkeit unseres Menschseins ab. Vielmehr bekommen wir zu dieser Verletzlichkeit und Fehlerhaftigkeit etwas dazu: die Zusage, über unser nacktes Menschsein hinauswachsen zu können; das Geschenk eines Kleides, einer Identität, die uns immer wieder ermöglichen soll, anders zu sein und anders aufzutreten, als es uns aus unserer eigenen Kraft heraus möglich wäre.
Unser Taufkleid aus Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, Vergebung und Liebe ist also nicht als Fassade gedacht, hinter der wir unseren eigentlichen Charakter verstecken müssten. Auch und gerade als Christenmenschen müssen wir unsere Blösse nicht fürchten: unsere Fehler, unser Versagen, unsere Sprachlosigkeit oder unsere Verführbarkeit. Auch und gerade als Christenmenschen müssen wir uns nicht davor fürchten, auch einmal nackt dazustehen. Das Erkanntwerden in den Tiefen und Untiefen unseres Charakters muss uns kein Alptraum sein, wenn wir uns auf Gottes Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, Vergebung und Liebe verlassen können.
Mit der Taufe, mit unserem Bekenntnis zum Christsein bekommen wir die Zusage, dass ein Alptraum dieses Lebens zum erfüllten Wunschtraum geworden ist: wir sind nackt und dennoch bekleidet; wir werden erkannt und dennoch geliebt. So soll es sein für Jesper, der heute getauft worden ist. So soll es sein für uns alle, die wir miteinander als christliche Gemeinde leben. Und so soll es sein für alle die Menschen, die mit Elisabeth Ohlsons Bildern in unserer Mitte sind.
Amen.