6. Das Abendmahl

Während der Mahlzeit nahm Jesus Brot, dankte Gott, brach es in Stücke und gab es seinen Jüngern mit den Worten: «Nehmt und esst, das ist mein Leib». Dann nahm er den Becher, sprach darüber das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sagte: «Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das für alle Menschen vergossen wird zur Vergebung ihrer Schuld» (Matthäus 26:26-28)

Zur Ehre und Rehabilitierung der Menschen, für den sich manche schämen. Für sie stehen die Transvestiten auf der untersten Stufe der homosexuellen Hierarchie. Jesus nahm viele Mahlzeiten bei Menschen ein, die nicht dazugehörten. Für mich war Jesus ein Rebell der Liebe, der es wagte, an der Seite der Ausgestossenen zu sitzen. Die Schuhe? – Die Leiden eines anderen zu tragen, heisst, in seinen Schuhen zu gehen.

7. Der Judaskuss

Zur Ecce Homo Hauptseite

Die Vorlage

Leonardos Abendmahl
Leonardo da Vinci

 

Predigt über Matthäus 26,26-28

von Ulla Franken, Emmaus- Ölberg- Kirchengemeinde Berlin Kreuzberg

«Gott, wieviele Jahre wünsch ich mir schon einen alten, grossen runden Tisch, an dem alle und die verschiedensten Menschen sitzen, und einer davon ist der Hüsch… Gott, wie viele Jahre träume ich schon den gleichen Traum vom gleichen Stoff, von Bruder und Schwester, Vater und Sohn, und einer davon heißt Schretzmeier, und ein anderer Oberhof. Und alle reden und trinken, essen und denken nach Herzenslust und Gelüsten, mit Ausnahme der Faschisten.»

So hat der alte fromme niederrheinische Dichter und Kabarettist Hans-Dieter Hüsch einmal sein Bild vom Abendmahl beschrieben. Auch Hüschs Bild ist vermutlich nicht unumstritten. Wer dabeisein soll und darf an Gottes Tisch und wer nicht: darüber wird nicht erst diskutiert, seit Elisabeth Ohlsons Foto vom Transvestiten-Abendmahlstisch in die schwedische und österreichische und nun auch in die deutsche und Berliner Öffentlichkeit gekommen ist. Schon im biblischen Kanon wird da eifrig sortiert. Bei den Evangelisten kann man da schon Unterschiedliches lesen, und im Hebräerbrief beispielsweise – zu datieren etwa 2. christliche Jahrhundert – kann sich der Verfasser nicht vorstellen, beim grossen Abendmahl dermaleinst im Reich Gottes einen Juden anzutreffen. In ähnlicher Weise fällt es offenbar heute dem einen oder der anderen schwer, sich am Tisch des Herrn jemanden in langen roten Lacklederstiefeln vorzustellen.

Mir auch. Wenn ich mir ausmale, an jenem grossen Abendmahlstisch im Reich Gottes irgendwann in naher oder ferner Zukunft anzukommen und eine Szene vorzufinden wie auf Elisabeth Ohlsons Bild: ich würde wahrscheinlich meinen, mich in der Tür geirrt zu haben. Dabei bin ich bei aller kirchlichen Bürgerlichkeit nicht schwulenfeindlich. Es gibt unter meinen Freunden solche, die meine Tochter freundlich-ironisch «meine Lieblingslesben» nennt. Aber anders als auf Elisabeth Ohlsons Bild fallen meine schwul-lesbischen Freunde nicht weiter auf. Im Grossen und Ganzen kleiden und benehmen sie sich ganz ähnlich wie ich.

Und als am letzten Wochenende viele meiner Freunde um einen grossen Tisch sassen und wir natürlich auch über diese Ausstellung sprachen, da sagte meine Lieblingslesbe: Dass ich Lesbe bin ist das eine, aber außerdem bin ich doch auch noch Psychologin, 46 Jahre alt, Bauerskind usw. Und ihre Lebensgefährtin nickte dazu, so wie mein Mann mir manchmal zunickt in 20-jähriger ehelicher Verbundenheit.

Ich müsste ihnen eigentlich dankbar sein, meinen schwul-lesbischen Freunden. Denn sie erlauben mir, mich für tolerant und weltoffen zu halten, ohne dass ich selber viel dafür tun muß. Die Vorleistung erbringen sie, indem sie bei allem Anderssein so unauffällig, so bürgerlich, so angepasst an meine Vorstellungen von Normalität sind. Sie ersparen es mir, die Entweder-Oder-Frage zu stellen: leben sie richtig oder ich? Und gleichzeitig ersparen sie sich diese Frage natürlich auch selber. So wäscht eine Hand die andere, und alle können sich irgendwie gut dabei fühlen: die Bürgerlichen tolerant, die Homosexuellen akzeptiert, die Kirchenleute weltoffen und die Kirchenkritiker als wertgeschätzte Gesprächspartner. Solange sich alle an die Regeln halten und niemand die roten Lacklederstiefel anzieht. Oder darauf besteht, daß am Tisch als erstes ein Gebet gesprochen oder ein frommes Lied angestimmt werden soll. Und vielleicht tun wir ja tatsächlich gut daran, alle diese Regeln einzuhalten, damit unser multi-religiöses und multi-kulturelles und multi-sonstiges Leben weiter einigermassen funktioniert.

Elisabeth Ohlson jedoch verletzt mit ihrem Abendmahlsbild alle diese Regeln gleichzeitig. Sie läßt die roten Lacklederstiefel anziehen und zusätzlich den Herrn und Heiland selber noch ein Paar schrille Pumps, und gleichzeitig besteht sie darauf, daß mindestens ein Gebet gesprochen und ein frommes Lied angestimmt wird. Und zwar keineswegs aus Ironie, vielmehr aus vollem christlichen Ernst.

Nach nun einer Woche Laufzeit dieser Ausstellung und immer intensiver werdender persönlicher Auseinandersetzung mit diesen Bildern frage ich mich, was es bedeutet, dass diese massive Regelverletzung hier offenbar weitgehend problemlos akzeptiert wird. Ja, mehr noch: dass fast alle sie als überfällig und mutig beschreiben. Dass der Skandal aus Schweden und Österreich hier in Berlin-Kreuzberg so völlig ausbleibt. Ist das, was in Schweden und Österreich eine bis zu Bombendrohungen provozierende Kulturverletzung war, hier tatsächlich so selbstverständlich toleriert und integriert, wie die Eintragungen im Gästebuch der Ausstellung es glauben machen?

Nicht, dass wir uns missverstehen. Ich sehne mich keineswegs nach Bombendrohungen, nicht einmal nach Farbbeuteln. Und ich bin sehr glücklich darüber, dass es in dieser ja keineswegs stromlinienförmigen Gemeinde mit ihren höchst unterschiedlichen und sich gegenseitig immer wieder heftig widersprechenden Meinungen und Glaubenshaltungen ein so eindeutiges Votum für diese Ausstellung gegeben hat. Aber dennoch gibt es manches, das mich an der Idylle zweifeln lässt.

Zu dem, was mich an der Idylle zweifeln lässt, gehören Menschen, die mir in den letzten Tagen erzählt haben, wie sehr sie trotz aller Anpassungsleistungen als Lesben und Schwule in der Kirche Außenseiter bleiben. Und zwar nicht, weil sie nicht integriert wären, sondern vielmehr, weil niemand von ihrer anderen Lebensweise ernsthaft Kenntnis haben und sich damit auseinandersetzen will. Aussenseiter also nicht durch Ausgrenzung, sondern vielmehr durch Gleichgültigkeit, durch verweigern von Unterscheidung.

Elisabeth Ohlson zwingt uns durch ihre Fotos eine solche Unterscheidung auf. Und sie befindet sich damit in alter biblischer Tradition – besonders was das Abendmahlsbild anbelangt. Wer sich das Bild in Erinnerung ruft, das der Evangelist Lukas vom grossen Abendmahl zeichnet, findet auch schon dort provozierende Unterscheidungen. Da geht es um eine Gesellschaft am Tisch des Herrn, die nicht viel weniger schrill ausfällt als auf dem Ohlson-Bild: Arme, Verkrüppelte, Blinde, Lahme. Und Lukas beschreibt sie in ihrer Andersartigkeit genauso direkt und unverblümt wie Elisabeth Ohlson sie fotografiert. Unter dem Thema der Einladung, die da heißt: Kommt, es ist alles bereit. Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist.

Eine Freundlichkeit, die offenbar nicht als Gegenleistung Anpassung erwartet. Der Verkrüppelte wird seine Prothese beiseite lassen, der Transvestit darf seine roten Lacklederstiefel anziehen, und der Blinde braucht keine Sonnenbrille aufzusetzen. Und wenn wir, jeder und jede von uns, früher oder später den Raum mit diesem Tisch betreten werden, dann werden wir wohl fast alle erst ein wenig zurückschrecken vor jener so anderen Szene. Aber einer, der dann vielleicht Stöckelschuhe anhaben wird oder Jesuslatschen, der blond und lockig sein wird oder schwarz und langhaarig oder auch ganz anders; dieser eine wird den Satz sagen, der uns bekannt sein wird und der uns ein lädt, dabeizusein: Kommt, es ist alles bereit. Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist.

Amen.