Gottesdienst zum Coming Out Day 2009

Begrüssung

Mit dem Präludium zum «Te Deum» von Marc-Antoine Charpentier haben wir begonnen. Dieses Stück ist bekannt als die Eurovisions-Fanfare, so international wie der Coming Out Day, den Lesben und Schwule weltweit um den 11. Oktober begehen, an die 500‘000 Menschen denkend, die 1987 am «Second National March on Washington for Lesbian and Gay Rights» teilnahmen.

In diesem Sinne begrüsse ich euch zum Oktober-Gottesdienst der LSBK, vorbereitet haben ihn Martin und ich, Urs.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen dessen,
der uns zur Gemeinschaft ruft,
der Gemeinschaft lebt,
der unsere Gemeinschaft stärkt.

Eingangsgebet

Wir freuen uns an bunten Herbsttagen, Gott, und denken an dunkle Tage, als wir ausgeschlossen waren von der Flut der Farben.

Es waren Tage des Zweifels, die uns blind machten für die Welt da draußen, außerhalb unseres Zimmers.

Da waren die Farben unsere Sehnsucht, die Sonne war unser Traum.

Zweifel und Angst erfüllten uns und manchmal die ohnmächtige Wut, uns nicht gegen das Anderssein wehren zu können.

Wir fühlten uns wie verurteilt zu einem kleinen Tod.

Aber nun freuen wir uns wieder an bunten Herbsttagen.

Wir danken dir, Gott.

Lehre uns verstehen, warum du uns diese dunklen Wege gehen lässt.

Bleibe bei uns, heilende Gotteskraft, in den Tagen der Gesundheit und an allen Tagen, an denen wir Leid tragen.

Amen

Aus Gottesdienstbuch in gerechter Sprache Eva Strittmatter, von uns überarbeitet.

Lesetext

Markus 2, 1-12

Gedanken

Als wir diesen GD vorbereitet haben, stellten wir wieder einmal unsere unterschiedliche kirchliche Sozialisation fest. Während Urs eher kein Fan der «Leseordnung» ist, bin ich mit meiner pietistisch-lutherischen Sozialisierung eher bereit mich den vorgegebenen schriftlichen Knacknüssen im Kontext der Tagesaktualität und der
Übertragung in unsere Zeit zu stellen. Allerdings pflichte ich ihm bei wenn er sagt, dass es nicht sinnvoll ist, einen Text auf die Tagesaktualisierung zu vergewaltigen, damit er dann doch noch irgendwie am Schluss und überhaupt…

Vor so was graust es uns beiden.

Als wir schauten, welche Stellen in der Leseordnung für den 19. Sonntag nach Trinitatis aufgeführt sind, stiessen wir auf den gelesenen Text.

Für uns waren bereits die verschiedenen Überschriften in den Übertragungen interessant in welchen wir den Text lasen. Die Spanne reichte von «Jesus vergibt Sünden» bis «Jesus heilt einen Gichtbrüchigen».

Und da waren sie also wieder die Sünde und die Krankheit. Für homo- und bisexuell empfindende Menschen die zwei grossen Verletzungsinstrumente in den Händen «geretteter Gläubiger». Sie glauben sie seien gerettet; obwohl ich nicht weiss von was, lass ich ihnen ihren Glauben.

Wir sehen in diesem Text eine grosse Gemeinsamkeit welche ihn für den Coming Out Day prädestinieren. Wir möchten euch an unseren Überlegungen teilhaben lassen.

In der damaligen Gedankenwelt wurde Krankheit überwiegend als Strafe für eine Sünde angesehen. Entweder hat der betreffende oder einer seiner Vorfahren gesündigt und das musste gesühnt werden. Vor diesem Hintergrund war es unwichtig ob der Kranke geheilt wurde, oder ob ihm die Sünden vergeben wurden. Es war damals ein gedankliches Äquivalent. Dass Jesus Sünde und Krankheit nicht gleich setzte, war für die Anderen somit eine Unverschämtheit.

Zu den einzelnen Punkten sind folgende Gedanken aufgetaucht.

3 Da brachten vier Männer einen Gelähmten herbei,

Da erzählt ein Gelehrter den wichtigen Männern in der Gemeinschaft, die sich alle zuvorderst platziert hatten Dinge über das Reich Gottes und dann wollen ein paar Typen einen Kranken bringen.

Nein! Da machen wir keinen Platz! Warum auch! Der wird schon wissen warum er krank ist!

Gemeinsamkeit Coming Out Day: Da wurde einfach etwas ins Tagesgeschehen präsentiert, das eigentlich nichts in der Mitte der normalen Menschen zu suchen hatte.

4 aber sie kamen wegen der Menschenmenge nicht bis zu Jesus durch. Darum stiegen sie auf das flache Dach, gruben die Lehmdecke auf und beseitigten das Holzgeflecht, genau über der Stelle, wo Jesus war. Dann liessen sie den Gelähmten auf seiner Matte durch das Loch hinunter.

Eigentlich ganz schön unverschämt. Die steigen den Frommen und Honoratioren einfach aufs Dach und zerstören denen ihr schönes Weltbild.

Gemeinsamkeit Coming Out Day:
Als die Polizisten in die Christopher Street gingen, war in ihrem Weltbild die Gewissheit, dass sie sich gleich wieder einen grossen Spass machen werden mit den Schwulen Transen und Drag Queens. Da die Huch-hach-kreisch-autsch-Typen eh alles mit sich machen lassen ohne sich zu wehren war die Riesengaudi vorprogrammiert. Der Beifall der anständigen normalen Bürger und Honoratioren war sicher, wenn diese Kranken gedemütigt und an den öffentlichen  Pranger gestellt wurden. Dass dabei Existenzen vernichtet wurden war für die anständigen Bürger nicht relevant. Solchen Perversen musste durch Zwangs-Outing der Zugang zur Gemeinschaft versperrt werden.

Bei der Razzia im Stonewall Inn am 28. Juni 1969 wurde morgens um 01:20 Uhr ein Weltbild zerstört.

5 Als Jesus sah, wie gross ihr Vertrauen war, sagte er zu dem Gelähmten: «Mein Sohn, deine Schuld ist dir vergeben!»

6 Da sassen aber einige Gesetzeslehrer, die dachten bei sich:

7 «Was nimmt der sich heraus! Das ist eine Gotteslästerung! Nur Gott kann den Menschen ihre Schuld vergeben, sonst niemand!»

Bin ich im falschen Film? Wie kann der zu einem der da sicher was angestellt hat einfach sagen, dass er nicht mehr für etwas büssen soll? Der Kerl ist krank, soll das gefälligst annehmen und im emotionalen Jammertal verschmoren. Der hat kein Recht auf was anderes!

Gemeinsamkeit Coming Out Day:
In der «öffentlichen» Meinung waren Menschen, die in diesen Lokalen verkehrten pervers oder netter formuliert, krank. Die haben es sich ausgesucht, keiner zwingt sie so zu sein und wenn sie in der Gemeinschaft von anständigen Menschen verkehren wollen, können sie sich von ihrer schlechten Angewohnheit heilen lassen.

8 Jesus erkannte sofort, dass sie das dachten, und fragte sie: «Was macht ihr euch da für Gedanken?

9 Was ist leichter – diesem Gelähmten zu sagen: >Deine Schuld ist dir vergeben<, oder: >Steh auf, nimm deine Matte und geh umher<?

10 Aber ihr sollt sehen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Schuld zu vergeben!» Und er sagte zu dem Gelähmten:

Der hat sie doch nicht alle. Ist ja nett zu jemandem zu sagen deine Sünden sind dir vergeben; das kann jeder. Der Angesprochene muss nix dafür oder dagegen tun. Er muss es ja nicht mal glauben. Aber jetzt will er, dass derjenige, welcher da liegt auch noch was macht.

Gemeinsamkeit Coming Out Day:
Ach ja, – du hast halt diese schlechte Angewohnheit. Ist ja nicht weiter schlimm solange du nicht glaubst, dass das normal sei. Wir haben nichts gegen dich, solange du dich brav an unsere Regeln hältst und uns in unserer schönen heilen Welt-Fassade alles am rechten Platz lässt. Und mach ja nichts anderes!

11 «Ich befehle dir: Steh auf, nimm deine Matte und geh nach Hause!»

Jetzt gibt der ihm auch noch einen Befehl den der ausführen soll. Gröhl – ausgerechnet der! Der hat ja noch nie etwas selber gemacht sondern war immer darauf angewiesen, dass die anderen was für ihn machen!

Gemeinsamkeit Coming Out Day:
Hör ja nicht auf die Wissenschaftler und Lehrer, welche eine von den anständigen Bürgern abweichende Meinung haben. Die haben ja alle auch eins an der Waffel. Die gehören genauso geheilt wie du. Schau wir wollen ja nur dein bestes, haben immer schon für dich geschaut und in den Dingen darfst du nichts machen. Hast ja eh keine Ahnung!

12 Der Mann stand auf, nahm seine Matte und ging vor aller Augen weg. Da waren sie alle ausser sich und sagten: «So etwas haben wir noch nie erlebt!»

So eine Unverschämtheit! Der Kerl steht tatsächlich auf und macht auch noch was. Steht auf seine Beine und übernimmt die Verantwortung für seine Bewegung! Das ist ja wirklich allerhand!

Gemeinsamkeit Coming Out Day:
Die Besucher des Stonewall Inn übernahmen die Verantwortung für sich selbst.

Sie traten für Ihre Meinung und Lebensform ein und waren bereit den anderen klar zu vermitteln

Jungs, Mädels wir sind nicht krank. Wir entsprechen einfach nicht eurem Weltbild und wenn ihr damit Mühe habt, dann solltet ihr mal euer Weltbild erweitern und euch von eurer Engstirnigkeit heilen lassen!

Entscheidend war, dass die Betroffenen selbst aktiv wurden und begriffen haben, dass es die anderen nicht für sie tun würden. Diese Einsicht wurde sicher durch das «68iger-Umfeld» begünstigt. Im Zeitkontext gesehen, standen 14 Monate vorher diskriminierte Menschen auf und demonstrierten gegen Berufsverbote und für die Gleichbehandlung unabhängig von der Rassenzugehörigkeit als Martin Luther King am 9. April 1968 in Atlanta sprach: «I have a dream».

Nicht vergessen werden sollte, dass McCarthy nicht nur gegen Kommunisten sondern auch gegen Schwule vorging.

Am 11. Oktober 1987 entstand eine neue Situation in den Staaten, indem diejenigen, welche unter dem Damoklesschwert des Zwangs-Outings standen in 18 US-Bundesstaaten an die Öffentlichkeit traten und den 1. Nationalen Coming Out Day begingen. Plötzlich wurde den «normalen Bürgern» vor Augen geführt, dass es sich nicht wie immer erzählt nur um ein paar Einzelmasken handelte sondern, dass es viel mehr Lesben, Schwule und bisexuelle Menschen gab als gedacht.

Bitte vergesst nicht, wie die Situation für homo- und bisexuelle empfindende Menschen in der Welt heute noch ist. Selbst in Europa gibt es noch extreme Problemzonen. Für homo- und bisexuelle Menschen ist es in verschiedenen Osteuropäischen Ländern heute noch nicht möglich Umzüge durchzuführen, weil die Ordnungskräfte nicht in der Lage oder nicht Willens sind, die Teilnehmer vor einem prügelnden Mob zu schützen.

Segen

Der Segen
und die Güte Gottes
führe uns von der Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit.

Der Segen
und die Güte Gottes führe uns
von den Ersten zu den Letzten.

Der Segen
und die Güte Gottes führe uns
vom Krieg zum Frieden.

Aus Gottesdienstbuch in gerechter Sprache Heidi Rosenstock