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Begegnung mit der «Schwulen und lesbischen Basiskirche»
Vre Amberg im Basler Kirchenboten Nr. 10, Mitte Mai 1994
Erklärung des Kirchenrats zur «Schwulen und lesbischen Basiskirche» in der gleichen Ausgabe
Unter dem Dach der reformierten Basler Kirche und als Teil des Projektes «Offene Kirche Elisabethen» treffen sich einmal im Monat homophile Christen und Christinnen zu einem ökumenischen Gottesdienst, der von Laien vorbereitet, gestaltet und unter ein Thema gestellt wird.
Der Gottesdienst, den wir besucht haben, von Frank Lorenz und Ewald Merkelbach vorbereitet, trägt den Titel «Engel».
Nach der Begrüssung, ein paar Mitteilungen, einer Psalm-Lesung und einem Lied, bittet Frank Lorenz, uns bequem hinzusetzen, die Augen zu schliessen. um uns für einen Meditationstext bereit zu machen. Jeder und jede ist mit sich selbst allein. Das Zwitschern der Vögel im Pfarrhausgarten oder das Quietschen des vorüberfahrenden Trams nehmen wohl nur diejenigen wahr, die noch nicht so sehr meditationserfahren sind. Nach einem Gebet, gesprochen von Ewald Merkelbach, und ein paar Engel-Zitaten aus der Bibel, werden wir aufgefordert, uns in Kleingruppen Gedanken zu machen zum Thema Engel.
Das Aufbrechen des grossen Kreises und das Sich-Zusammenfinden mit drei, vier zum Teil sich fremden Menschen, erfordert von jedem persönliche Beteiligung. Wortfetzen aus angeregten Diskussionen und immer mal wieder ein herzliches Lachen sind im Raum. An der Wand hängt ein weisses Tuch. Daraufgesprayt ein Engel nach einer Vorlage von Paul Klee. Er wird zum «Engel unserer Gemeinde» erkoren, dem wir unsere Wünsche und Hoffnungen auf seinen Weg mitgeben sollen. Dazu werden post-it Zettel und Bleistifte verteilt. Nach und nach bekommt er alle Bitten und Stossseufzer seiner Gemeinde angeklebt. Da wünscht sich eine Frau ganz einfach «Mehr Frauen!» im Gottesdienst oder auf einem zudem Zettel wird «Klare Sicht unterwegs und bhüet di Gott» dem Engel gewünscht. Ein anderer Gottesdienstbesucher nimmt Bezug auf einen Zeitungsartikel über ein entdecktes Gen, das für die Homosexualität eines Menschen verantwortlich sein soll. Der Engel soll nun da oben ausrichten, die «Normalen» sollten auch ein Gen bekommen, welches ihnen die Angst vor den «Nicht-Normalen» nehmen könnte. Während die einen mit spielerischer Leichtigkeit ihre Zettel beschreiben, sind die andern erfüllt von tiefer Ernsthaftigkeit.
In der Kirche aktiv sein
Ich muss zurückdenken an das Vorgespräch, das ich mit fünf Vertreterinnen und Vertretern der «Schwulen und lesbischen Basiskirche» geführt habe und in dem betont worden ist, dass sie, die Lesben und Schwulen nicht länger in Resignation verfallen oder in einer Opferhaltung verharren, sondern kreativ mit ihrer Homosexualität umgehen wollen. Auch und gerade in der Kirche.
«Wir kommen in der Kirche nicht vor, aber es gibt uns», meinte ein Teilnehmer bei diesem Vorgespräch. Und weil sie nicht vorkommen, offiziell nicht existieren, wollen sie nun ihre Zukunft innerhalb der Kirche selbst an die Hand nehmen. Sie wollen nicht mehr länger als «Schöpfungsfehler» an den Rand gedrückt und dort vergessen werden, sonder selbständig und selbstbewusst eigene Gottesdienste feiern, einen eigenen Engel losschicken mit Wünschen und Bitten, die sie in ihrem Alltag bewegen. Vielleicht auf die Gefahr hin, dass die Heteros in den Gottesdiensten der Homos sich ebenso ausgeschlossen fühlen wie umgekehrt??
Nähe spüren
Zu jedem Gottesdienst gehört auch das Abendmahl, das von einem Pfarrer. einer Pfarrerin oder einem katholischen Geistlichen ausgeteilt wird. Heute lädt Pfarrer Ruedi Weber, kirchlicher Aids-Beauftragter, mit drei Strophen aus Rainer Maria Rilkes «Engellieder» zum Abendmahl ein. Alle werden in die Feier mit-einbezogen. Wer nicht teilnehmen möchte, fällt auf. Diese Nähe, die ich am intensivsten während des Abendmahls spüre. bedeutet wohl für die meisten Anwesenden Geborgenheit und Aufgehobensein. Eine Art Heimat, die sie als Homosexuelle in ihren Stammkirchen vermissen.
Nach dem gemeinsam gesprochenen Unservater und dem Singen des Bonhoeffer-Textes «Von guten Mächten wunderbar geborgen», verabschiedet Pfarrer Weber die kleine Gemeinde mit dem Segensspruch «Ein Engel behüte Euch…
Danach treffen sich die meisten im oberen Stock des Pfarrhauses zu einem Znacht und einem zufriedenen Zusammensitzen. Gemeindeleben en miniature.
Mut beweisen
Vor bald drei Jahren hat diese Gemeinde angefangen zu werden. Sechs homophile Männer hatten sich zusammengefunden, um den Verletzungen, die sie in ihren Kirchen erlitten hatten, ein Ende zu setzen und etwas Neues wachsen zu lassen. Sie haben dabei niemandem etwas weggenommen, niemanden verletzt, nur sich selbst etwas Gutes getan. Heute sind es etwa vierzig Menschen, die sich zur Schwulen und lesbischen Basiskirche zählen oder mit ihr sympathisieren.
«Solch ein grosser Zeitungsartikel über solch eine kleine Sache?» werden sich vielleicht einige Leser oder Leserinnen kopfschüttelnd fragen. Diese Gruppe ist tatsächlich noch winzig klein und noch einzigartig in der Deutschschweiz. Doch sie hat Mut bewiesen und etwas in Bewegung gesetzt. Sie hat Altverkrustetes aufgebrochen und ist ausgebrochen, sie ist aus ihrem Versteck herausgekommen und hat angefangen, ihr Schicksal in die eigene Hand zunehmen. Und dies ist ein Artikel wert, Denn es kann andere ermutigen, Ähnliches zu wagen, einen neuen Weg einzuschlagen, einen Weg aus der Ohnmacht
Erklärung des Kirchenrats zur «Schwulen und lesbischen Basiskirche»
Menschen sind Geschöpfe Gottes. Sie sind es mit ihrer Sexualität, die sie in unterschiedlicher Weise empfinden, leben und gestalten. Zum Wissen um die Geschöpflichkeit gehört das Wissen um die Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lebens und gegenüber den Nächsten.
Die Geschlechtlichkeit ist eine grundlegende Bestimmung des menschlichen Wesens, nach der jeder Mensch, Frau oder Mann, auf Beziehung hin geschaffen ist. Sie verpflichtet deshalb zum bewussten Gestalten der Beziehungen zu den Mitmenschen. Ethische Forderungen eines gegenüber Gott und den Nächsten verantwortlichen Umgangs mit der Sexualität richten sich an Menschen mit heterosexuellen und mit homosexuellen Empfindungen gleichermassen.
Die Verurteilungen der gleichgeschlechtlichen Sexualität, die sich in der Bibel finden, sind im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit zu verstehen und entbinden uns nicht von der Frage nach einer verantwortlichen Beurteilung der Homosexualität im Licht heutiger Erkenntnisse und Erfahrungen. Wenn Jesus alle Gebote im Doppelgebot der Liebe zusammenfasst, dann hält er uns dazu an, alle Gebote im Licht dieses einen Gebotes im Blick auf die jeweiligen Verhältnisse zu überprüfen.
Wir achten homosexuelle Frauen und Männer als Mitglieder unserer Kirche, auch wenn bis heute in unserer Gesellschaft und auch innerhalb unserer Kirche unterschiedliche Auffassungen über Homosexualität bestehen. Abwertende Urteile haben keinen Platz.
Homosexualität wird von vielen als Leiden und Stigma erlebt. Es ist wichtig, dass wir als Christen leidende Menschen und Randgruppen nicht ebenfalls ausstossen und ausgrenzen.
Der Kirchenrat nimmt die Initiative homosexueller Menschen ernst. die sieh durch ein gleiches Schicksal verbunden fühlen miteinander Gottesdienst feiern und im gemeinsamen Gebet, im Hören auf die Schrift und in der Feier des Abendmahls Orientierung, Vertiefung und Stärkung der Gemeinschaft suchen.
Die Sexualität gehört zum Kern der Persönlichkeit, in dem Menschen sehr verletzlich sind. Der Kirchenrat wünscht deshalb, dass bei Diskussionen und Veröffentlichungen darauf geachtet wird, das Empfinden und die Gefühle von andern Menschen nicht zu verletzen.