Unsittliches Tun oder anerkennenswerte Lebensform?

Lesben, Schwule und Bisexuelle in Kirche und Gesellschaft.

Unter diesem Titel hat der Schweizerische Katholische Frauenbund SKF am Samstag, 2. November 2002 in Olten zu einer offenen Tagung eingeladen. Vorausgegangen war der mutige Schritt der katholischen Frauenbewegung in der Erarbeitung des Diskussionspapiers mit dem gleichlautenden Titel, das am 25. Januar 2001 vom Zentralvorstand verabschiedet wurde. Darin wird die Vision formuliert, dass neben dem gesellschaftlichen Umdenken und der Anpassung der Gesetze auch die Kirche schritt halten muss, den wenn sie sich auf die Liebe als Grundlage ihres Selbstverständnisses beruft so muss sie dies im Kontext ihres Wirkungsfeldes intensiv und nachhaltig tun und sich für die derzeitigen gesellschaftlichen und politischen Anstrengungen zur Integration von Lesben und Schwulen auch in eigenen Kreisen einsetzen. Sie muss Veränderungen zulassen und ernsthaft die Möglichkeit schaffen einer kirchlichen Feier zur Eröffnung des gemeinsamen Lebensweges von Homosexuellen in dem sie um den Segen Gottes bittet zum Gelingen der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Die Kirche muss für Lesben, Schwule und Bisexuelle genauso wie für alle Menschen Heimat sein. Das aber wird nur möglich sein, wenn deren Lebensform und Sexualität verstanden und akzeptiert wird. So kann Kirche zu dem werden, was sie sein soll: ein Ort echter und vorurteilsfreien Begegnung zwischen den unterschiedlichsten Menschen.

Der SKF will zur Enttabuisierung beitragen und sich aufgrund seines Leitbildes einsetzen:

  • für die Anerkennung gleichgeschlechtlich orientierter Menschen in Kirche und Gesellschaft
  • für eine gerechte gesetzliche Regelung gleichgeschlechtlicher Lebensformen und Partnerschaften durch Mitsprache bei Gesetzesrevisionen in der Schweiz
  • für die Enttabuisierung des Themas innerhalb des Verbandes
  • für lesbische Frauen und für die Mütter von lesbischen oder schwulen Kindern, in demer eine Plattform zur vorurteilsfreien Auseinandersetzung bietet
  • für die Erziehung zur Toleranz und zur Akzeptanz gleichgeschlechtlich orientierter Kinder und Jugendlicher in Familie und Schule
  • für eine qualitative Weiterentwicklung der Schulbücher, in denen die gleichgeschlechtlich orientierte Lebensform thematisiert werden, d.h. unter anderem dafür, dass Sexualität nicht auf den biologischen Bereich reduziert wird
  • für die offene Diskussion über Sexualität in der Kirche
  •  für einen Dialog mit der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) zum Thema Lesben,Schwule und Bisexuelle im kirchlichen Dienst und für deren Zulassung zu Leitungsfunktionen.

An der Tagung kamen ausgewiesene Fachleute zur Sprache. Prof. Dr. Udo Rauchfleisch gab Einblick in die psychologische Zugänge zu gleichgeschlechtlichen Orientierungen und Lebensweisen. Er erörterte den Heterosexismus, der alles über die Leiste der Heterosexualität schlägt und Heterosexualität als allgemein gegeben voraussetzt. Diese Verharren in der Polarität kann zu Verbiegung der Persönlichkeit eines homophilen Menschen führen, der Selbstverletzung oder der Aggression gegenüber allem  Homosexuellen. Das Festhalten der Rollenverteilung von Mann und Frau in Gesellschaft und Kirche diene nur der Machterhaltung und liesse kaum Raum für das Potential der homosexuellen Lebensweisen. Die Avantgarde homosexuellen Partnerschaften könnten die heterosexuellen Beziehungen bereichern gerade vor allem hinsichtlich Nähe-Distanz-Regulierung und egalitärer
Rollenverteilung.

Im zweiten Referat kam Dr. theol. Silvia Schroer, Professorin für altes Testament und Biblische Umwelt, zu Wort. Sie eröffnete uns einen neuen wissenschaftliche fundierten Zugang zu biblischen Texten auf die Frage der Homosexualität. Sie legte dar, dass die Verdrängung der Homoerotik in biblischen Texten von der Einstellung des Betrachtenden abhänge. Es gehe darum die Offenheit und bewusste Positionierung gerade auch auf die Homoerotik im biblischen Kontext als durchaus bejahend einzunehmen und die erotische Qualität der Beziehungen in der Überlieferung nicht im Voraus abzulehnen sei. Es brauche eine innere Bereitschaft die biblischen Texte neu zu lesen und die Möglichkeit der homoerotischen Beziehung durchaus als erotisches Verhältnis anzuerkennen und nicht nur als politische Beziehung, so z. B. bei 1. Samuel 16. Es darf einfach nicht davon ausgegangen werden, dass alles über die Leiste des Heterosexismus geschlagen wird. So lässt sich die Homoerotik zwischen David und Jonathan (1. Samuel 18) nicht beweisen, da es nur eine Erzählung ist und wir heute keinen Zugang mehr haben zur Wirklichkeit, die erotische Komponente zwischen diesen Männern dürfe aber nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Verständnis heraus muss auch der Schöpfungsbericht (Gen. 2) neu gelesen werden, nämlich dem expliziten Verhältnis von Liebenden. Gott selbst greift ein und schafft dem Menschen einen ebenbürtigen Partner gibt ihm die menschliche Würde zurück, im Durchbrechen der Einsamkeit.

Im dritten Block der Tagung kamen zwei Frauen vom Beratungstelefon „lilaphon“ zu Wort, die einen theatralischen Einblick gaben in das Alltägliche aus dem Leben einer bisexuellen und einer lesbischen Frau. Ein paar Zitate aus dieser Begegnung:

  • lesbisch und schwul kann man sein, aber heterosexuell kann man gemacht werden
  • Zuneigung, Zärtlichkeit, Geborgenheit und Liebe stehen im Gegensatz zu der Ausübung von Macht und Kontrolle
  • lesbisch sein als lustvollste Art Widerstand zu leisten am Patriarchat.

Abschliessend war die Möglichkeit gegeben zur Podiumsdiskussion. Die Akzeptanz kristallisierte sich in der Frage, ob Schwule und Lesben Kinder adoptieren dürfen. Schnell war klar, dass es um das Wohl des Kindes gehen muss, nämlich das es ein gutes Umfeld braucht um aufzuwachsen, egal ob in einem Homo- oder Heterosexuellen Gesichtskreis. Das Kind braucht einen Ort wo es geliebt wird und Geborgenheit spüren kann, damit es zu einem guten Menschen heranwächst. Es zeigt sich, dass die Frage der Adoption als Knackpunkt in der Frage der Gleichstellung wird, nämlich ob die homosexuellen Frauen und Männer als Gleichwertige Menschen betrachtet werden oder nicht.

Diese Tagung war ein voller Erfolg, und regt an zu einem vorteilsfreien Umgang im Geiste
der Versöhnung untereinander. Die Frauen des SKF verdienen  unsere Anerkennung und Unterstützung in der Auseinandersetzung in Kirche und Gesellschaft.

Stephan

Die genannte Broschüre fand sich beim Frauenbund.ch   jetzt aber bei uns: LesBiSchwul  pdf, 280 KB


Mit Bibelstellen …

Mit Bibelstellen hat man die Verbrennung von Hexen, die Folter der Inquisition, die Kreuzzüge, die Verfolgung der Juden und die Unterdrückung der Frauen begründet. Jeder Gebrauch der Bibel, der darauf hinausläuft, dass Menschen benachteiligt oder ausgegrenzt werden, muss uns zutiefst misstrauisch machen. Die Bibel ist nicht ein Verbotsnachschlagewerk, sondern ein Angebot, wie das Leben gelingen kann. Nicht einzelne Aussagen der Bibel sind Wertmassstab, sondern die Botschaft muss im Ganzen gesehen werden. Diese ganzheitliche Botschaft scheint in der Bibel an vielen Stellen durch, wie z.B. im Buch der Weisheit, wo es heisst «Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast; … Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Gott, Freund des Lebens. Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist.» (Weish 11, 24-26).

Die Kirche muss für Lesben, Schwule und Bisexuelle genauso wie für alle Menschen Heimat sein. Das aber wird nur möglich sein, wenn deren Lebensform und Sexualität verstanden und akzeptiert wird. So kann Kirche zu dem werden, was sie sein soll: ein Ort echter Begegnung zwischen den unterschiedlichsten Menschen

Aus «Unsittliches Tun oder anerkennenswerte Lebensform?»
Lesben, Schwule und Bisexuelle in Kirche und Gesellschaft
Schweizerischer Katholischer Frauenbund SKF


Stellungnahme SKF-Publikation zur Homosexualität und Reaktion Casetti

Das Oekumenische Aidspfarramt Zürich gratuliert dem SKF zu seiner Publikation zur Homosexualität. Es ist einmalig, dass eine katholische gesamtschweizerische Organisation von der Grösse und Bedeutung eines SKF zu diesem Thema etwas so selbstverständlich Mutiges und sorgfältig Differenziertes veröffentlicht.
Auf dem Hintergrund unserer Erfahrungen mit schwulen, lesbischen, bi- und transsexuellen Menschen teilen wir die Haltung des SKF vollumfänglich.
Zugleich bedauern wir die Haltung von Domherr Christoph Casetti und distanzieren uns entschieden davon. Seine Meinung zum Thema entspricht bei weitem nicht mehr dem heutigen psychologischen Mainstream. Was Casetti dem SKF suggeriert, halten wir tatsächlich für sehr not-wendig: Die Lehrmeinung der Kirche zur Homosexualität ist «dringend zu verändern»
Der für uns einzig einsichtige Wert der Reaktion Casettis liegt darin, dass sie dem SKF-Papier zur nötigen Breitenwirkung verhelfen kann.

Oekumenisches Aidspfarramt Zürich
Guido Schwitter