#Pray for Orlando

Nach dem Angriff auf Charlie Hebdo waren die sozialen Medien innert Stunden «schwarz»: Alle Welt war «Charlie». Und nachdem ich hörte, was im Supermarkt Hyper Cacher passiert war, ergänzte ich: «Je suis juif». Nach den Anschlägen auf das Stade de France teilten weltweit 70 Millionen Menschen den Slogan «Pray for Paris».
Auch ich.

Als nun der Mordanschlag auf schwule Männer und lesbische Frauen in Orlando öffentlich wurde, sprachen Politiker und Journalistinnen von einem «Anschlag auf unseren Lebensstil» oder auf die «offene Gesellschaft». Aber der Slogan «I am Gay» oder «I am Lesbian» oder «I am Orlando» fand sich äusserst selten. Und in den weltweiten Beileidsbekundungen sucht man die Worte «Lesben», «Schwule» oder «Homophobie» fast überall vergeblich. Klar, sowas traut sich niemand zu sagen. Ein solcher Slogan klingt ja wie ein Coming Out, obwohl er eigentlich eine notwendige Solidaritätskundgebung wäre. Leider vermute ich aber noch etwas anderes: Mit diesem Anschlag wurden Menschen getroffen, die – immer noch – zweifelhaften Rufes sind. Sie mögen zwar in manchen Staaten vor allem der westlichen Welt in der Mitte der Gesellschaft angekommen sein, aber ihren Namen zu nennen, sich mit ihnen zu solidarisieren, das ist etwas «gaaanz» anderes. Immerhin war es ja eine «Schwulenbar»: Sind sie vielleicht selbst schuld, wenn sie dorthin gehen? Als Opfer sind diese Menschen schon ok. und dürfen auch bedauert werden. Aber ihr Lebensstil? Nein, das geht dann zu weit.

Homosexualität wird immer noch – bis weit in unsere Kirche hinein – distanzierend apostrophiert. Wenige wagen es, die Selbstbezeichnung «Schwule» und «Lesben» selbstverständlich und ohne Unterton auszusprechen. Sobald Homosexualität diskutiert wird, öffnet sich ein Fächer, der von entspannter Akzeptanz über den politisch korrekten Politsprech bis hin zu kaum verhohlenem Ressentiment, ja gar bis zu hasserfüllter Ablehnung reicht. Weltweit ist das eigentlich nur bei einer anderen Minderheit gleich: Bei den Juden.

Es verwunderte mich also überhaupt nicht, dass ein jüdisch israelischer Freund mir in der Nacht des Attentats schrieb: «Meine Gedanken sind bei dir. Immer zielen diese Gewalttäter entweder auf mein Volk oder auf deines. Warum nur? Wann wird die Welt begreifen?». Er ahnte nur, was wirklich stimmte: Es waren meine Schwestern und Brüder, die da ermordet wurden. In dieser Nacht neigte ich mich zur Komplet, für einmal mit geballter Faust. Dieser Text berührte mich besonders: «Geschwister, seid nüchtern und wachsam; denn der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er zerstöre. Du aber, Herr, erbarme dich unser.» Ja, lasst uns nüchtern und wachsam sein .

Frank Lorenz


Zuerst veröffentlicht im «Kirchenboten» Basel-Stadt Nummer 13/14 Juli/August 2016.