Regenbogen-Feier vom 9.1.2022

Predigttext

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
Ehre sei dir, o Herr!

Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen. Sie fürchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht. Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.

And Maria brought forth her firstborn son, and wrapped him in swaddling clothes, and laid him in a manger; because there was no room for them in the inn.  And there were in the same country shepherds abiding in the field, keeping watch over their flock by night.  And the angel of the Lord came upon them, and the glory of the Lord shone round about them: and they were sore afraid. And the angel said unto them, Fear not: for, behold, I bring you good tidings of great joy, which shall be to all people. For unto you is born this day in the city of David a Saviour, which is Christ the Lord. And this shall be a sign unto you; You shall find the baby wrapped in swaddling clothes, lying in a manger.

In meiner Samstagszeitung lese ich einen Leserbrief eines Physikers. Er sagt, es gebe Millionen von Zellen im menschlichen Körper. Und in jeder dieser Zellen habe es Chromosomen. Zwei davon seien entweder zwei X, oder ein X und ein Y-Chromosom. Daraus ergebe sich eindeutig und ausschliesslich, dass eine Person ein Mann oder eine Frau wäre. So einfach und eindeutig.

Nun gut, wäre die Gattung homo sapiens endlich durch zuverlässigere Roboter ersetzt, könnte der Herr Physiker vielleicht recht haben. Ist aber nicht.

Und solange das nicht ist, hats eben von diesen homines sapientes. Und diese haben ein kleines Bisschen vom Baum der Erkenntnis gegessen.

Das heisst nicht zwingend, dass das bisschen Erkenntnis von guter Qualität wäre. Aber es unterscheidet uns vom Wurm und vom Roboter.

Mit anderen Worten: Menschliches Wirken unterliegt einer moralischen Beurteilung, während Wurm und Roboter sich um eine solche Kategorie nicht zu kümmern brauchen, wenn sie handeln.

Nach Hanna Arendt beginnt mit der Geburt des Menschen, die Möglichkeit zu Handeln. Dabei ist hier nicht das Handeln im physiologischen oder physikalischen, sondern in einem politischen Sinn gemeint, als Möglichkeit einen Anfang zu machen.

Einen Anfang machen? Ja, zu beginnen, seine Umgebung zu beeinflussen. Nicht alleine übrigens, sondern mit (den) anderen zusammen.

Beendet wird dieses Handeln durch den Tod, die Mortalität, um den Begriff von Arendt aufzugreifen.

Im Rahmen dessen, was im Handlungsbereich des Individuums liegt, formt dieses an seiner Umwelt. Und hier liegt ein Bereich, der uns besonders interessiert. Denn das Handeln unterliegt seinerseits einer Beurteilung, seien es die Handlungsmethoden, die Mittel und schliesslich das Resultat.

Dieses Resultat kann unterschiedliche Qualitäten aufweisen. Einerseits z.B. Die physikalischen Eigenschaften. Ein Auto kann rot oder grün sein. ODER im moralischen, theologischen oder philosophischen Sinne, ob etwas gut oder schlecht ist.

Dieses Urteil ist selbst wieder daran geknüpft, wie das urteilende Individuum den Handlungsvorgang und dessen Resultat sieht, letztlich, wie es empfindet, wie es beeinflusst wird, was es erleidet oder erlebt – die Folgen des Handelns ABER auch das Handeln selbst. Bei genauer Betrachtung eine stetige Wechselwirkung von Handeln und dessen Folgen, die wiederum das Handeln beeinflussen, so, dass die Folgen modifizieren. Daher die oft komplexe Aufgabe, ein nachhaltig richtiges Urteil, eine dauernd richtige Beurteilung zu erhalten.

Aber – wie erwähnt – handelt der Mensch oft nicht alleine, sondern gemeinschaftlich. Regelmässig ist das Resultat von dieser Zusammenarbeit abhängig. Das Böse braucht immer Handlanger. Und es sind diese Handlanger, derer es bedarf, um die übelsten Auswüchse menschlichen Handelns zu verwirklichen.

Was wäre das Gewaltregime in „xxx“, wenn da keine Schergen wären?

Gerichte hatten sich mit solchen Umständen zu befassen. Z.B. die Mauerschützen-Prozesse. Die Prozesse gegen KZ-Wächter. Der Prozess gegen Adolf Eichmann.

Und da fällt etwas auf: Immer wieder berufen sich diese Täter darauf, doch nur ihre Pflicht getan zu haben. Man kann doch nicht einfach seine Aufgabe nicht tun, weil man glaubt, sie sei vielleicht nicht gut? Wo kämen wir da hin?

Ja, diese Herrschaften haben – wie tausende und abertausende – ganz einfach nur ihre Pflicht getan. Wie gewöhnlich! Alltäglich. Banal, wie Arendt sagt.

Und tatsächlich: Sehen wir, was sich tut auf dieser Welt. In unserer nächsten Umgebung – oder auch weiter weg.

Wie oft ist es gerade das gewöhnliche, das banale Handeln, das Übles bewirkt.
Gedankenlosigkeit
Gleichgültigkeit
Mangelnde Sorgfalt
Mitschwimmen in der Masse

Mitschwimmen in der Masse? Ein schönes Beispiel der Ambivalenz. Wenn die FCB-Fans im Joggeli grölen, ist das oft harmlos. Aber als die Nazis am Parteitag in Nürnberg grölten, was es das nicht.

Gerade diese Ambivalenz ist es, die uns herausfordert. Merke: die Beurteilung unseres Handelns ist nicht gratis!

Wir müssen danach suchen, wie wir das Handeln einordnen wollen. Wir müssen die Kategorien suchen, analysieren, anwenden. Im Gegensatz zum Handeln wie oben, wo man auch durch Unterlassen etwas bewirken kann, verlangt unser Beurteilen ein AKTIVES Tun und Wollen!

Ich kann einen am Boden liegenden Bewusstlosen einfach liegen lassen, ich handle durch Unterlassung. Aber die Beurteilung meines Handelns kann nur aktiv erfolgen. Sonst habe ich eben nicht beurteilt.

Schön hier, wie wir sehen, dass das Beurteilen unseres Handelns wiederum ein Handeln ist, welches selbst der Beurteilung bedarf.

Womit wir feststellen dürfen, dass das alles kompliziert ist. Aber das dürfen wir nicht als Ausrede gelten lassen.

Wir sind gefordert, unser Tun zu bedenken – nur so können wir zu verhindern (versuchen), Böses zu tun. Und damit letztlich unsere geistige Hygiene unterstützen!

Hannah Arendt sagt, der Mensch bedarf eines „transzendenten Blickes“ auf sich selbst, damit er weiss, wer er ist, und in dieser Welt nicht wie in einem Käfig lebt. Dieser „transzendente Blick“ ist nicht nur durch einen Gott, Spiritualität oder eine Religion möglich. Es kann auch der Blick eines Einzelnen auf den:die Andere:n sein – zur Selbstbespiegelung und Infragestellung seines Tuns.

Hannah Arendts Begriff der Natalität bedeutet das Wissen darum, ich werde geboren und habe als Einzelner die Möglichkeit, alles zu verändern, und mit anderen gemeinsam etwas anfangen, erreichen und verändern zu können.

Immer hat der Mensch die Aufgabe, aus dem natürlichen Universum eine menschliche Welt zu machen. Es ist eine Aufgabe, die jede Generation neu bewältigen muss. Es ist die politische Aufgabe, nicht Einzelheiten zu verwalten, sondern durch das gemeinsame Handeln die Welt zu verwandeln in eine menschliche Welt.

Rebecca Burckhart