Vortrag vom 19. September 2000, im Rahmen eines Workshops des Instituts für Friedens- und Bewusstseinsbildung in Basel
Ich bin jetzt fünfundsiebzig Jahre alt. Ich habe entdeckt, dass jedes Jahrzehnt meines Lebens glücklicher und friedvoller war als das letzte. Jedes Jahrzehnt brachte grössere Nähe zu einem Gott der Barmherzigkeit und Liebe und grösseres Vertrauen in Gottes Liebe für mich. Während mein Körper älter wird, wird mein Geist jünger. Ich weiss, dass dies ein Geschenk Gottes ist, für das ich dankbar bin. Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich mein Gebetsleben radikal verändert von einem Gebet des Kopfes, einem Gebet der Worte, Konzepte und Gedankengängen hin zu einem Gebet des Herzens. Gott hat mir die Gnade gegeben, mir ständig einer Sehnsucht in meinem Herzen bewusst zu bleiben, einer Sehnsucht nach grösserer Nähe zu Gott. Meine Gotteswahrnehmung basiert auf dem, was ich entbehre, auf dem, was ich brauche und nicht habe, wonach ich mich sehne, wonach ich hungere und dürste und was ich noch nicht erreicht habe.
Entbehrung ist ein paradoxer Begriff. Philosophen definieren Entbehrung als «die Abwesenheit dessen, was sein sollte». Entbehrung ist demnach eine Erfahrung der Abwesenheit in der Gegenwärtigkeit oder einer Gegenwärtigkeit in der Abwesenheit. Gott zu erfahren als Mangel oder Entbehrung bedeutet dann notwendigerweise, dass ich bereits eine Erfahrung von Gottes Gegenwart gemacht habe. Ich möchte dies mit einem verlorenen Teil eines Puzzles vergleichen. Wenn ich es sehe, werde ich es kennen, weil es nur ein Teilchen gibt, welches in diesen leeren Raum passt. Mit den Worten von St. Augustin ausgedrückt: «Du hast uns für Dich erschaffen, oh Herr, und unsere Herzen werden niemals ruhen, bis sie in Dir ruhen.»
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