Invisum esse – ein Dorn sein

Die Geschichte des Herrn K.: Seelsorger für Kranke im Auftrag einer lateinischen Kirche

Herr K. ist ein hochsensibler Mann. Er lebt in einer ansehnlich grossen Schweizer Stadt, wo er im Auftrag seiner Kirche einen Dienst versieht, um den ihn nicht viele seiner Kolleginnen und Kollegen beneiden. Herr K. ist Seelsorger für Menschen, die unter einer sehr schweren Krankheit leiden. Seine Kirche hat ihn zu diesem Dienst ordentlich bestellt und eingesetzt: Er hat eine «Sendung» an seinen Arbeitsort erhalten. In Herrn K.s Kirche heisst diese «Missio», denn Herrn K.s Kirche denkt lateinisch. Lateinisch zu denken, das heisst: Gesetze sind da, um die Institution zu stützen und zu befestigen. Nicht für Menschen. Das Latein wurde in Herrn K.s Kirche allerdings als Sprache der Feier am Sonntag schon vor dreissig Jahren abgeschafft. Doch in den Vorschriften und in den Köpfen der Oberen denkt es weiter lateinisch. Herrn K.s Vorgesetzte sagen: Wenn das Latein aus unseren Köpfen und Büchern und Regeln füllt, dann verlieren wir unseren Anspruch. Ihr Anspruch ist in ihrem Namen «all-umfassend».

Herr K. musste lange lernen, bis er vom lateinischen Gottesgelehrten zum Menschenkundigen wurde. Seine Lehrer gaben ihm ein gutes Zeugnis. Sie empfahlen ihn zum Dienst. Herr K. tat also – nachdem er gesandt worden war von seinem Oberen – seinen Dienst: Er ging zu Kranken und beriet Gesunde, die die Krankheit noch nicht hatten. Er feierte Gottesdienste und berichtete über die Krankheit, auch an Orten, wo man sich vor ihr fürchtete. Kurz: Herr K. tat, was man von ihm erwartete, und er tat es sehr gut. Ganz einfach, ohne Aufsehens. Eines Tages verlangte Herrn K.s Oberer ein Gespräch. Der Obere sagte: «Herr K., ich habe Ihnen die Sendung gegeben, die Missio für die Arbeit mit den Kranken. Gut, dass Sie sie machen. Gut, wie Sie sie machen. Doch nun ist mir etwas zu Ohren gekommen über Sie, das dem Lateinischen unserer Kirche widerspricht. Darum darf ich Sie nicht <einstellen> – ich darf Ihnen die Institutio nicht geben. Leben Sie wohl und danke, dass Sie sich den Kranken widmen.» Herr K. war also gut für die Arbeit, beliebt bei den Kollegen und gebraucht von denen, die die Krankheit haben. Alles gut, soweit. Aber nun hatte Herrn K.s Oberer ein lateinisches Problem. Herr K. war plötzlich ein Dorn im Auge seines Oberen. Denn Herr K. liebt einen Mann genauso unauffällig und sensibel, wie Herr K. eben ist. Zumindest sagen das alle über Herrn K.

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Die Gabe akzeptieren

Lesbische Theologinnen in der Kirche

Obwohl die Kirchen Homosexualität entweder ablehnen oder ein verkrampftes Verhältnis zu ihr haben, gibt es nicht wenige lesbische Theologinnen und schwule Pfarrer. Der aufbruch hat sich mit zwei katholischen Theologinnen* darüber unterhalten, wie sie ihr Lesbischsein in der Kirche leben.

VON HUBERT ZURKINDEN

aufbruch: Kürzlich hat die reformierte Kirche des Kantons Freiburg beschlossen, Segnungsgottesdienste für unverheiratete und homosexuelle Paare unter der Voraussetzung zuzulassen, “dass eine Verwechslung mit einem Traugottesdienst ausgeschlossen werden kann”. In der Presse wurde dieser Entscheid als mutiger Schritt bezeichnet. Finden Sie den Entscheid auch mutig?

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Dornenreicher Weg ins Pfarramt

Erfahrungen lesbischer Pfarrerinnen und schwuler Pfarrer mit Kirchenbehörden und -gemeinden

Prüfstein für die Toleranz und Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Christen in der Kirche ist die Einstellung der Kirchgemeinden und ihrer Behörden gegenüber lesbischen Mitarbeiterinnen und schwulen Mitarbeitern. Die jüngst erfolgte Nichtwahl eines hervorragend qualifizierten Theologinnenpaares zeigt: Obwohl sich die evangelisch-reformierten Landeskirchen gegenüber anderen Lebensformen öffnen, haben es gleichgeschlechtlich orientierte kirchliche Mitarbeiter nach wie vor schwer, akzeptiert zu werden. Bekennen sie ihre Homosexualität bereits bei der Stellenbewerbung, haben sie kaum Chancen, sich vorstellen zu dürfen.

«Als frisch ordinierte Theologinnen und Theologen verschiedener Kantonalkirchen mussten wir feststellen, dass homosexuelle Theologinnen und Theologen nur mit Mühe von den Gemeinden in den kirchlichen Dienst aufgenommen werden», schrieben evangelische Theologinnen und Theologen kürzlich in einem Leserbrief. Grund dieser Aktion: die Nichtwahl eines Theologinnenpaares trotz von der Pfarrwahlkommission attestierter hervorragender Qualifikationen. Sie hätten nicht gedacht, dass ihre Beziehung bei der Stellensuche zu einem Problem werden könnte, erzählen sie. Solange sie sich im universitären Bereich bewegten, hätten sie keinerlei Diskriminierung erlebt.

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Andersartig – Gleichwertig

Kirchlicher Blick auf Homosexualität im Spiegel der Tagungszentren

Die Tagungen für Homosexuelle an kirchlichen Bildungshäusern haben viel zur öffentlichen Meinungsbildung beigetragen. Und auch die Tagungen haben im Laufe eines Vierteljahrhunderts Entwicklungen durchgemacht.

VON SUSANNE KRAMER-FRIEDRICH

Seit 1974 bieten das Evangelische Tagungs- und Studienzentrum Boldern und die Paulus-Akademie Zürich Wochenendtagungen für homosexuelle Menschen an. “War es am Anfang das erklärte Ziel, das Unrecht aufzuzeigen, das vielen Homosexuellen geschah, so wird im Laufe der Zeit eine Dynamik der Betroffenen immer deutlicher, die Gesellschaft so zu verändern, dass sie selbstverständliche Freiräume zur Entfaltung der Sexualität eines jeden und einer jeden garantiert”, heisst es im Boldern Bericht Nummer 81 vom Dezember 1991.

Damit ist das Ziel formuliert: Auch die Liebe zwischen Menschen des gleichen Geschlechts soll selbstverständlich als gleichwertig akzeptiert werden, als “normal” gelten. Wie weit oder wie nah sind wir als Gesellschaft und als Kirchen hierzulande von diesem Ziel entfernt? Wie viel Veränderung erträgt die Schweiz?

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