Vater?!

Gottesdienst vom 16. Januar 2005

Martin und Urs, die diesen Gottesdienst mit André Feuz, dem reformierten Pfarrer der Offenen Kirche Elisabethen zusammen gestaltet haben, sind selber schwule Väter.

1. Teil: Gedanken

im Wechsel gelesen

Wir alle haben Väter, seien sie
–  Bekannt oder unbekannt,
–  anwesend oder abwesend,
–  leiblich oder adoptiert,
–  geliebt oder gehasst,
manche von uns sind selber Väter

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind.
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

Wir wünschten uns, sein starker Arm würde uns umfassen und schützen,  uns aber gleichzeitig genug Bewegungsfreiheit lassen.

Gott ist Vater! Wir werden gehalten, beide zu fürchten

Als Kinder glaubten wir an Vaters Allmacht, mit unserem grösser Werden sahen wir, dass Vater nicht alles konnte, was wir wollten. Je stärker wir wurden, um so mehr sahen wir seine Schwäche.

An dieser Stelle kam das Gedicht «Ich wünsche dir Zeit» von Elli Michler Wir hatten es allerdings mit «Lieber Vater» getitelt.

Musik

2. Teil: Geschichten

Im Wechsel gelesen

Aus dem Lebenslauf von Carsten.

Die Schilderung beginnt nach dem seine erste längere Beziehung zu einem Mann zu Ende war:

Ich wusste nicht mehr, wie ich mich verhalten sollte. Ich beschloss zu handeln und versuchte wieder eine Freundin zu bekommen, es musste doch irgendwie alles gut werden und es wuchs in mir der Gedanke an eine Familie. So mit Kindern und allem was dazu gehört. Ausserdem war ich neidisch auf die jungen Familienväter die so völlig normal ihre Kinderkarre geschoben haben. Ich entwickelte in Gedanken den Plan, eine Frau zu suchen, mit ihr Kinder zu bekommen, zu heiraten, ein gemeinsames Haus zu bewohnen, um dann endlich von den schwulen Gedanken los zu kommen. Das habe ich dann auch geschafft, es dauerte keine zwei Monate und ich war wieder mit meiner ehemaligen Freundin Nicole zusammen. Wir haben ein paar Jahre zusammen gelebt, bekamen sogar eine Tochter, aber ich habe meine Frau während der Ehe ständig mit Männern betrogen. Die Ehe hielt 3 Jahre und ich ging durch die Hölle.

Meine Tochter ist mittlerweile 10 Jahre alt und ich habe sie seit 7 Jahren nicht gesehen, aber ich glaube, dass es ihr gut geht. Irgendwann wird mich das Ganze einholen und ich weiss immer noch nicht was ich meiner Tochter dann erzählen soll.

A family is a family is a family …

… das hat auf unseren T-Shirts bei der Regenbogenparade des Vorjahres gestanden. Wir, das sind Willy (mein Mann), Helena, meine Tochter, 9 Jahre alt und ich Harald. Helena war das erste Mal auf der Parade mit. Die bunte Feier hat ihr gefallen. Die vielen Leute, die uns freundlich zugewunken haben. Auch im täglichen Leben werden wir, eine Familie aus zwei Männern und einem Kind, oft interessiert betrachtet. Neugierde wohl. Offen unfreundliche Reaktionen von Außenstehenden gibt es nicht. So kurios es auch klingen mag, Unverständnis ist mir bisher als schwuler Mann mit Kind nie entgegengebracht worden. Dazu reicht es ganz einfach «Mann mit Kind» zu sein. Ein älterer, durchaus wohlwollender Kinderarzt, der sich nicht vorstellen konnte, dass Männer Suppe kochen. ArbeitskollegInnen, die zwinkernd meinen, dass das Putzen die Oma übernimmt. Manchmal das alte Klischee vom fehlenden weiblichen Identifikationsobjekt für meine Tochter. In den Köpfen vieler Menschen sind alleine Frauen dazu da, zu kochen, putzen, sich um die Kinder zu kümmern.

Eine junge Frau erzählt

Mein Vater hat sich vor mir geoutet, da war ich acht.

Ich habe immer ein sehr enges Verhältnis zu meinem Vater gehabt, in  vielen Bereichen war er meine erste Ansprechperson. Aber einer unserer größten Konflikte ist merkwürdigerweise, dass ich lesbisch bin. Ich habe mich mit 14 vor ihm geoutet. Meine Homosexualität wurde im Gegensatz zu seiner nie thematisiert, wenn ich sie anspreche, reagiert er sehr verlegen und unbeholfen. Mit meiner Mutter hatte ich da immer viel weniger Probleme, obwohl sie ja durch die Beziehung mit meinem Vater eine eher negative Erfahrung  mit Homosexualität gemacht hat. Mein Vater hat mir sogar einmal gestanden, dass er wirklich gröbere Probleme damit hat und auch nur schwer damit umgehen kann, wenn zwei Frauen sich küssen. Es ist ein seltsames Gefühl, zu spüren, wie wenig er meine Freundin akzeptieren kann, während ich zu seinen Freunden immer ein ausgesprochen gutes Verhältnis hatte.

Am Bahnhof: Ein junger Mann nach seinem Coming out:

Das hätte ich nie von ihnen gedacht. Sicher, ich habe damit gerechnet, daß meine Eltern es nicht so einfach hinnehmen würden, aber nicht das. Nun sitze ich hier, zusammengekauert wie ein geschlagener Hund, und warte. Warten auf den nächsten Zug, jedes Ziel ist mir recht. Hauptsache weit weg. Weg von meinem Vater, der mir vor einer guten halben Stunde klargemacht hat, wie minderwertig und dreckig ich doch sei, und dann auf mich eingeschlagen hat.

Langsam beginne ich meine Selbstachtung zu verlieren ! ich fange an den Worten meines Vaters Glauben zu schenken.

Meine eigene Weihnachtsgeschichte:

Mein Sohn war etwa zwölf Jahre alt als ich mich geoutet habe.

Er wird nun vierzehn. Vergangene Weihnacht bat ich ihn, den Christbaum selber zu schmücken. Ich stellte ihm den Baumschmuck bereit. Alles in Bordeaux-Rot und Gold. Als er fertig war rief er mich um den geschmückten Baum anzuschauen. Etwas eigenwillig, aber durchaus originell hatte er sein Werk vollendet. Mitten im Baum, zwischen roten und goldenen Kugeln glänzte eine hellrosarote Kugel, die er in einer Schachtel mit altem Baumschmuck noch vorgefunden hatte.

Sofort bemerkte ich: «diese Kugel passt aber dann gar nicht in den schönen Baum.»
Verschmitzt lächelte er mich an und sagte: «Aber Papi du passt doch auch ganz gut zu uns.»

Musik

3. Teil: Impuls André Feuz

Den bekannten Spruch: «Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr» könnte wohl getrost ergänzt werden mit der Erfahrung, dass einen Vater zu haben auch nicht immer ganz einfach ist.

Die Erfahrungen mit Vätern und von Vätern sind ganz unterschiedlich und in einer etwas anderen Form trifft das wohl auch für die Mütter zu. Mütter und Väter spielen in der Bibel, spielen in der Geschichte Jesu, eine wichtige Rolle – eine unterschiedliche Rolle und dementsprechend sind die Rollen unterschiedlich verstanden und die Bilder unterschiedlich überhöht worden.

Ein Vater, der gewöhnlich wenig in den Blick kommt, von dem wir ganz wenig wissen, ist Joseph, der Zimmermann, der Mann der Maria. Er erscheint denn auch nur bei den Geburtsgeschichten im Matthäus- und Lukas-Evangelium, in den andern Schriften des Neuen Testaments fehlt er ganz.
Und in den mittelalterlichen Darstellungen der Geburt Jesu, steht er meist abseits oder kommt überhaupt nicht vor. Ein eigentümlicher Befund, zumal wir wissen, dass die Väter in jener Zeit, gesellschaftlich und sozial eine wichtige Stellung eingenommen haben.

Im historischen Kontext, den Matthäus schildert, ist Josef denn auch wichtig. In Träumen wird dem einfachen Handwerker offenbart, wie er sich verhalten soll. Gesellschaftlich gesehen ist das wichtig und alles andere als selbstverständlich. Seine Verlobte, so heisst es in der Weihnachtsgeschichte, wird schwanger. Anstatt sie zu verlassen, hält er zu ihr, nimmt in Kauf, dass auch er in Verruf gerät. Er packt die Familie, flüchtet mir ihr nach Ägypten, von dort wieder zurück. Er hält zu Maria, und er hält zu ihrem Kind. In ganz kurzen Sätzen wird ein eindrückliches Verhalten geschildert – eines, das so gar nicht zum Macho-Bild des Mannes jener Zeit oder auch heute passen will. Da geht es dem Josef nicht um seine eigene Zukunft, die sich in seinen eigenen Kindern zeigt, sondern darum, dass Leben möglich und erhalten wird. Josef ist nicht beleidigt, nicht entrüstet, ganz ohne Vorwürfe: Er macht ganz einfach das, was gemacht werden muss, was ansteht, was lebensfördernd ist.
Und er macht es ohne Anspruch, kein Anspruch auf Dankbarkeit, kein Anspruch auf das Leben oder Lebenswerk seines Sohnes. Josef versucht nicht, sich selbst in seinem Sohn zu verwirklichen, versucht ihn nicht zu lenken, und es gibt keine Berichte darüber, dass Josef «nur das Beste für seinen Sohn wollte».

Diese Haltung des Josef wird nicht beschrieben und ist allenfalls ihrerseits eine Überhöhung. Sicherlich ist sie eine Deutung. Eine Deutung, die für das theologische Verständnis von Matthäus eine wichtige Voraussetzung darstellt. Nur so war Platz für ein  theologisches Bild: das des Vater-Gottes. Neben einem anspruchsvollen und beanspruchenden «realen» Vater, wäre diese Deutung schwierig geworden. Nur indem Josef seine Vaterrolle ganz ablegt, konnte Gott-Vater als Vater verstanden werden. Das Gleiche gilt für den Sohn: Nur indem er seinen Anspruch an den leiblichen Vater, an Josef, ablegen konnte, konnte er Gottes Sohn werden. Und dadurch wurde er sich selber, der, der er war und der, an den Christinnen und Christen glauben. Die Befreiung vom Vater, vom Vaterbild – und das war zu der Zeit ein sehr patriarchalisches – erst durch diese Befreiung wurde erst ein neues Verständnis möglich, in Bezug auf den Glauben, aber auch in Bezug auf das Leben. Das Ablegen dieser Bindung, sie nicht in Anspruch zu nehmen und die alten Rollen zu beanspruchen – erst das macht eine neue Bindung möglich und lässt zu, dass er in Anspruch genommen wird, und letztlich auch anspricht.

Diese theologische Deutung hat wenig Halt gefunden – weder in der Theologiegeschichte noch in der Kirchengeschichte. Das patriarchalische System hat sich wacker gehalten über Jahrtausende bis in unsere Zeit hinein. Der Anspruch der Väter und der Anspruch der Söhne. Verhindert wird dadurch, dass sowohl die Väter sich selber und etwas anderes werden und dass die Söhne sich selber und etwas Neues werden. Ein System, das sich selbst erhält, nicht verändert und weitergegeben wird, von Generation zu Generation. Die Geschichte Jesu, die Geschichte von Josef, hat aber ein Veränderungspotential. Auch in dieser Hinsicht. Auch in dieser Hinsicht versucht die Geschichte den Weg zu einem neuen Leben, zu einem neuen Menschen zu öffnen. Für die Väter und die Söhne. Sie gibt einen Blick frei auf sich selbst, ohne immer wieder auf den Vater, ohne immer wieder auf den Sohn zu schielen. Darin liegt das hermeneutische Potential dieser Geschichte: Dass wir den Blick nach vorne richten können, uns selbst im Blick behalten und darin einen hoffnungsvollen Weg in die Zukunft sehen. Dabei müssen wir das eigene Herkommen weder vergessen noch verdrängen, aber wir können uns von der Zukunft ansprechen lassen und den Anspruch der Vergangenheit sein lassen.

Musik

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