Mut zum Aufbruch

Diese Liturgie wurde am 21. Januar 2001 von Andreas Baumann und Günter Baum gehalten.

Ich begrüsse Euch herzlich zum ersten LSBK-Gottesdienst im neuen Jahrtausend.

Unser Thema: Mut zum Aufbruch.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen der dreifaltigen Gottheit,
des Vaters, der uns ins Leben gerufen hat,
des Sohnes, der uns ermutigen möchte, unseren Weg zu gehen,
und der Heiligen Geistkraft, die uns auf all unseren Wegen leitet.

Amen.

Mut zum Aufbruch – ein Thema, das wohl jeden von uns mehr oder weniger angeht. Ist nicht das ganze Leben im Fluss, im Aufbrechen und Weitergehen in die Zukunft?

Und doch gibt es Zeiten, in denen der Aufbruch in Neues, Unbekanntes, nicht im normalen Fluss des Alltags geschieht, sondern zu einem aktuellen Lebensthema wird. In solchen Zeiten geht vieles zusammen:

Umbruch – Zerbruch – Aufbruch.

Sowohl Andreas wie auch ich leben in einer solchen Umbruchsituation, die wir zum Teil gemeinsam durchleben. Uns verbindet hierbei die Suche nach einem neuen Weg, nach neuen Perspektiven in unserem Leben, der Schmerz, dass Hoffnungen und Lebensentwürfe zerbrochen sind, aber auch die Hoffnung und die Gewissheit, dass es weitergeht und wir wissen, dass wir in Gottes Hand geborgen sind.

Bei der Vorbereitung zu diesem Gottesdienst wurde uns bewusst, dass das Thema «Aufbruch in ein Neues» ein immer wiederkehrendes Grundthema auch in der Bibel ist. Wohl am eindrücklichsten verdeutlicht sich dieses Thema an der Geschichte des Volkes Israel, am Exodus oder Auszug aus der Knechtschaft in Ägypten. Andreas wird uns diese Geschichte noch einmal ins Gedächtnis rufen. Dann werde ich die einzelnen Aufbruchsphasen mit einer Collage von eingespielten Musikstücken der Liedermacher Klaus Hoffmann, der Sängerin Susan Schell und mit Texten von Ulrich Schaffer in einem Erlebnis- oder Erfahrungsteil mit unserem Leben in Beziehung setzen.

Der Auszug des Volkes Israels aus Ägypten, der sogenannte «Exodus», ist die Geschichte des Aufbruchs schlechthin. Sie steht im Mittelpunkt der jüdischen Tradition, Jesus selbst bezog sich auf das Passahmahl, welches an diesen Auszug erinnert, woraus in der christlichen Tradition das «Abendmahl» entstand.

Die Theologie der Befreiung stellt den Auszug aus Ägypten wieder ins Zentrum ihrer Reflexion.

Wenn ich die Geschichte des Exodus lese, so sehe ich verschiedene Facetten, die zu einem Aufbruch gehören:

1. Voraus geht ein Leidensdruck
2. Es gehen Perspektiven und Visionen auf, die beflügeln können
3. Es kommen Ängste vor den Konsequenzen und vor dem Ungewissen
4. Aufbruch bedeutet bereit zu sein, Durststrecken zu durchgehen
5. Im Aufbruch machen wir Erfahrungen vom Geführtsein

1. Voraus geht ein Leidensdruck

Das erste Kapitel des zweiten Buch Mose erzählt vom Ergehen des Volkes Israels in Ägypten:

Die Nachkommen Josephs, die sich dort niederliessen und sich vermehrten, wurden mit Fronarbeit unter Druck gesetzt: «Da setzte man Fronvögte über sie ein, um sie durch schwere Arbeit unter Druck zu setzen. Sie mussten für den Pharao die Städte Pitom und Ramses als Vorratslager bauen … sie gingen hart gegen die Israeliten vor und machten sie zu Sklaven. Sie machten ihnen das Leben schwer durch harte Arbeit mit Lehm und Ziegeln und durch alle möglichen Arbeiten auf den Feldern.» (Exodus 1,11-14)

2. Aufgehen von Visionen und Perspektiven

In diese Not hinein wird Mose geboren.

Die Bibel erzählt die seine Begegnung mit dem brennenden Dornbusch, in dem sich der Gott «Jahwe» zu erkennen gibt:

Und Gott sprach: «Ich habe das Elend meines Volkes in Israel gesehen, und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreissen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fliessen …» (Exodus 3,7-8)

3. Angst vor den Konsequenzen und dem Ungewissen

Doch die blühenden Verheissungen schienen sich bald ins Gegenteil umzuschlagen.

Mose blitzte beim Pharao ab mit seiner Bitte, sein Volk ziehen zu lassen. Im Gegenteil befahl der Pharao noch schlimmeren Frondienst.

Mose wurde angegriffen von seinen eigenen Leuten:

«Ihr habt uns beim Pharao und seinen Dienern in Verruf gebracht und ihnen ein Schwert in die Hand gegeben, mit dem sie uns umbringen können».

Da wandte sich Mose an Jahwe und sagte: Herr, warum behandelst du mein Volk so schlecht? Wozu hast du mich gesandt? Seit ich zum Pharao gegangen bin, um in deinem Namen zu reden, behandelst du dieses Volk noch schlechter, aber du hast dein Volk nicht gerettet.» (Exodus 5, 21-23).

4/5. Die Durststrecke und das Vertrauen auf das Geführtwerden

Schliesslich will jedoch das Buch Exodus den Leserinnen und Lesern zeigen, wie Gott sein Volk führt.

Leider wird der Focus darauf gelegt, wie die Ägypter mit schweren Plagen geschlagen werden, worin sich Gottes Herrlichkeit zeigen soll, doch es wird auch berichtet, wie Israel dabei verschont bleibt und von Gottes starker Hand geführt wird.

Schliesslich beginnt die lange Durststrecke durch die Wüste, und es wird berichtet, dass Israel seinen Schritt in die Freiheit bereut hat. Nach sechs Wochen bedauerte es hungernd:

«Wären wir doch in Ägypten durch die Hand des Herrn gestorben,

als wir an den Fleischtöpfen sassen und Brot genug zu essen hatten.

Ihr habt uns nur deshalb in die Wüste geführt,

um alle an Hunger sterben zu lassen. » (Exodus 16,3).

Doch Gott liess Wasser aus dem Felsen quellen und Manna vom Himmel regnen, und jeder und jede konnte soviel sammeln, wie er und sie zum Essen brauchten.

Wie bereits angekündigt wollen wir die Aufbruchsphasen nun in Beziehung zu unserem eigenen Leben setzen. Hierzu möchten wir euch ein «Notpäckli für den Aufbruch» geben. Mit diesem sucht ihr euch einen Platz irgendwo in der Kirche, an dem ihr euch wohlfühlt. Natürlich könnt ihr auch als Paar zusammenbleiben und euch diese Phasen gemeinsam anschauen.

Mit unserem zweiten Teil wollen wir euch Gelegenheit geben , über Musik, Texte, Symbole, Impulsfragen und Stille den Weg zu eurem eigenen Aufbruch zu finden.

All diese Elemente, die ihr für diesen «geführten» Aufbruch benötigt, haben wir in diesem Päckli zusammengetan. Ich werde euch sagen, mit welchem Inhalt ihr euch in den Phasen unseres Aufbruchs beschäftigen sollt. Wir bitten Euch, eines von den Päckchen zu nehmen und euch dann zusammen oder allein einen Platz in der Kirche zu suchen, der euch geeignet scheint, um dort ein stückweit innerlich aufzubrechen. Wenn ihr alle eure Plätze eingenommen habt, dann werde ich mit der ersten Aufbruchphase beginnen.

kirche abdunkeln und lieder einspielen

1.Phase des Aufbruchs:

Etwas in mir drängt zur Veränderung, zum Aufbruch Ich will und muss raus!

Einspielung: «Ich hab´s getan» Von Susan Schell

Ich habe mich für das Leben entschlossen
Ich habe mich entschlossen, aufzubrechen und zu wachsen
Mehr als nur zu überleben
Ich will durch den Nebel zur Sonne wachsen
Ich habe mich entschlossen,
alles Zureden und Drohen
und die Wünsche, mich zu Stein zu machen,
nicht anzunehmen
Ich will in Bewegung bleiben.

Ich habe mich entschlossen,
das Risiko am Abgrund entlang einzugehen, Zwischenstadien durchzustehen,
schuldig zu werden in meinen vollkommenen Entscheidungen
in meinem Blut zu erwachen, den Überblick zu verlieren, zu zögern, unsicher zu sein, auch zu fallen.

Ich bin dabei zu lernen, dass es kein Wachstum, keinen Aufbruch, ohne Schmerzen gibt…

(nach U.Schaffer)

Ich möchte euch nach diesem Lied in einen Moment der Stille folgende Impulsfragen mitgeben:

Wo hat es Situationen in meinem Leben, die mir schwer erscheinen, die nach Veränderung drängen?

Wo ist meine Grenze zwischen Weglaufen und einen neuen Weg finden?

2. Das Drängen zum Aufbruch wird genährt von Visionen und neuen Perspektiven

In allem , was mir dunkel erscheint, was mich zum Aufbruch drängt, gibt es doch eine Sehnsucht und ein tiefes inneres Wissen, dass es anders sein kann, dass es ein Licht gibt, das mir die Richtung weist.

Lasst uns deshalb jetzt die Kerze anzünden als Symbol dieser Hoffnung, an der sich Visionen und neue Perspektiven entzünden können.

Einspielung: «Wenn» Von Klaus Hoffmann

«…wenn, wenn ein Vertrauen in mir wär so gross und stark , so wie das Meer, ich würde jeden Berg bezwingen…wenn, wenn die Liebe in mir wär, so grenzenlos, so wie das Meer, ich müsste keinen Brunnen fragen, …wenn, wenn mir nichts blieb als freie Wahl, ob höchster Berg, ob tiefstes Tal, ich weiss, die Liebe würd mich tragen»

Nehmt nun bitte das grüne Blatt aus dem Päckli und lasst euch einige Minuten Zeit, um euch in die Fragen unter «Gibt es da etwas Neues für mich?» einzudenken. Ihr habt auch einen Bleistift im Päckli, um euch Notizen dazu aufs Blatt machen zu können.

3. Die Angst vor den Konsequenzen und dem Ungewissen lähmt mein weiteres Aufbrechen

Alles Wachsen und Aufbrechen ist Veränderung
Wir werden einen Zustand, eine Welt, hinter uns lassen
und der Angst vor dem Ungewohnten begegnen.

Eine Welt, in der Farben nicht mehr zueinander passen,
heilige Worte erschüttern und Brüche zu Visionen werden, nimmt uns auf
Wir werden einen Bereich verlassen,ohne den neuen zu erreichen.

Wir werden eine Sicherheit aufgeben, aber noch keine neue beziehen.

…Das ist der Wechsel, in dem wir unsere Nacktheit bis hin zum Schmerz empfinden.

Aber es gibt keinen Aufbruch ohne zu gehen, ohne Brücken hinter sich zu verbrennen und dann grossäugig und fröstelnd an einem neuen Ufer zu stehen

(nach U. Schaffer)

Nehmt nun den Stein in die Hand und erspürt ihn in eurer Handfläche.

Welche Steine liegen auf meinem Weg: Sind es Pflastersteine, die mir den Weg bahnen oder Steine, die mich stolpern lassen?

Schaffe ich das überhaupt?

Wohin mit meinen Ängsten und Vorbehalten?

Wo ist meine Grenze zwischen gesundem Risiko und unverantwortlichem Handeln?

Nutzt einige Zeit, um euch diesen Fragen zu stellen, die ebenfalls auf dem grünen Zettel zu finden sind.

4. Ich bin bereit das Risiko einzugehen und die Kosten zu tragen

Einspielung: «Mein Weg ist mein Weg» Von Klaus Hoffmann

«…mein Weg ist mein Weg, ist mein Weg

und kein Schritt führt mich jemals mehr zurück

mein Weg ist mein Weg, ist mein Weg

mit Schatten und mit Tränen

mit Lachen und mit Glück

mein Weg ist mein Weg, ist mein Weg…»

Was brauche ich , um meinen ureigenen Weg zu gehen, um durch finstre Täler und über Durststrecken hinwegzukommen? Für ausreichend Kraft in dieser Phase haben wir euch einen Schokoriegel ins Päckli gelegt, den ihr jetzt beim Überdenken der Fragen auf dem grünen Zettel essen könnt.

5. Etwas in mir gibt mir die Kraft und den Mut weiterzugehen. Ich lerne zu vertrauen.

Nicht wissen wollen

Was werden wird

Nicht wissen müssen

Pläne und Wünsche

Aus der Hand legen

Leise

Mit einem JA

Ich vertraue und komme an mein Ziel.

Auf dem grünen Blatt steht:

«Gott trägt Sorge für mich, mir wird es an nichts mangeln

nur fromme Worte oder erlebbare Realität für mich?»

Nehmt euch wieder etwas Zeit zum Überlegen.

Die Zeit des Aufbrechens – keine ruhige Zeit – eine Zeit., die ihren Tribut fordert, die aus Windstille einen Sturm macht.

Ich möchte unser gemeinsames Aufbrechen beenden mit einem Segen für diesen Sturm:

Gesegnet sei der Sturm

Vorüber ist die tödliche Windstille.

Zerborsten das Eis des Nichtgeschehens.

Vorbei das erstickende Atemanhalten.

Zeit ist wieder, sie rinnt.

Schmerz ist wieder, er brennt.

O Windstille, ich ahnte deine Tödlichkeit nicht!

Gesegnet sei der Sturm

(Sonja Umiker – Passera)

wir sammeln uns alle wieder auf den plätzen zum abendmahl

Jesus in Gethsemane: Ringen um Entscheidung

Herr, wohin, wohin, sollen wir gehen?

Du hast Worte ewigen Lebens.

Du bist Christus, Sohn des lebendigen Gottes

Die Einsetzung des Abendmahles beginnt mit den Worten:

«In der Nacht, da Jesus verraten wurde».

Es war das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern

und wohl auch Jüngerinnen,

und offenbar wusste er, was ihn in dieser Nacht erwartete.

Nach dem Mahl ging er mit einigen an den Ölberg

in einen Garten, der Gethsamene hiess.

Seine Begleiter waren müde und schliefen ein,

er aber war wach und betete:

«Abba, Vater, dir ist alles möglich.

Nimm diesen Kelch von mir.

Aber nicht, was ich will,

sondern was du willst,

soll geschehen.» (Markus 14,36).

Jeder und jede kennt die Geschichte und weiss, dass sie mit dem Tod endet.

Und die Erzählung macht mir auch Mühe, weil man meinen könnte, Jesus hätte sich dem Willen Gottes fügen müssen.

Wenn ich mich aber tiefer in den Garten Gethsemane wage und mich in die Situation Jesu versetze, so ringt Jesus um eine Entscheidung, seinen eigenen Weg zu Ende zu gehen.

Jesus verleugnet sich gerade nicht, das tut Petrus, der Minuten zuvor noch behauptet hat, dies nie zu tun! Jesus verrät sich nicht, das tut Judas, aus welchen Beweggründen auch immer.

Jesus unterbricht sein Gebet immer wieder und findet seine Gefährten schlafend und forderte sie auf, zu wachen und zu beten.

So ist für mich die Erzählung die Frage an mich:

Schlafe ich oder wache ich?

Lass ich mich lähmen von einer schwierigen Situation, arrangiere ich mich mit ihr, auch wenn sie Leiden bedeutet, oder mache ich mich auf den Weg, der mich ins verheissene Land führt?

In der Nacht, da er verraten war,

nahm er das Brot, dankte, brach es und sprach:

Nehmt, esst, das ist mein Leib,

der für Euch gegeben wird.

Solches tut zu meinem Gedächtnis.

Ebenso nahm er den Kelch nach dem Mahl und sprach:

Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut.

Solches tut, sooft ihr daraus trinkt zu meinem Gedächtnis.

Brot und Wein sind Zeichen des Gedächtnisses an Jesus,

der der Lehrer des Lebens und der Liebe war,

der seinen Weg bis zur letzten Konsequenz ging.

Mögen seine Gaben uns stärken und ermutigen,

unseren eigenen Weg zu gehen.

Gemeinsam bitten wir um den Segen:

Mit dem Segen Gottes lasst uns neue Wege begehen.

Wir lassen die Vergangenheit hinter uns und gehen,

vielleicht ungesichert und manchmal tastend,

aber von Hoffnung getragen und vom Geist geführt,

in eine offene Zukunft.

Im Namen der dreifaltigen Gottheit,

des Vaters, des Sohnes und der heiligen Geistkraft.

Amen.

Das grüne Blatt aus dem «Päckli»

sonne«ICH VERTRAUE UND KOMME AN MEIN ZIEL!!»Gott trägt Sorge für mich, mir wird es an nichts mangeln – nur fromme Worte oder erlebbare Realität für mich?
«TROTZDEM!»Welche Qualitäten und Beziehungen in meinem Leben braucht es, um durch finstere Täler und Durstrecken zu kommen?
«SCHAFFE ICH DAS?»Wohin mit meinen Ängsten und Vorbehalten? Wo ist meine Grenze zwischen gesundem Risiko und unverantwortlichem Handeln?
«GIBT ES DA ETWAS NEUES FÜR MICH?»Gibt es Träume und Visionen, für mein Leben, die nach Verwirklichung suchen?Wage ich noch für mich zu träumen?
«ICH WILL UND MUSS RAUS»Wo hat es Situationen in meinem Leben, die mir schwer erscheinen, die nach Veränderung drängen? Wo ist die Grenze zwischen Weglaufen und einen neuen Weg suchen?koffer