Die Gabe akzeptieren

Lesbische Theologinnen in der Kirche

Obwohl die Kirchen Homosexualität entweder ablehnen oder ein verkrampftes Verhältnis zu ihr haben, gibt es nicht wenige lesbische Theologinnen und schwule Pfarrer. Der aufbruch hat sich mit zwei katholischen Theologinnen* darüber unterhalten, wie sie ihr Lesbischsein in der Kirche leben.

VON HUBERT ZURKINDEN

aufbruch: Kürzlich hat die reformierte Kirche des Kantons Freiburg beschlossen, Segnungsgottesdienste für unverheiratete und homosexuelle Paare unter der Voraussetzung zuzulassen, «dass eine Verwechslung mit einem Traugottesdienst ausgeschlossen werden kann». In der Presse wurde dieser Entscheid als mutiger Schritt bezeichnet. Finden Sie den Entscheid auch mutig?

Laura: Mutig fände ich, wenn die Einschränkung nicht gemacht worden wäre. So aber werden einmal mehr gleichgeschlechtliche Paare zum Sonderfall gemacht.

Hanna: Mir scheint es, als versuche man, eine Realität zu integrieren, die es nun einmal gibt, ohne dass man bereit ist, die Werte-Hierarchie anzutasten. Ich will dennoch nicht ausschliessen, dass eine solche Lösung für schwule oder lesbische Paare eine Stärkung sein kann.

aufbruch: Wenn ich Sie richtig verstehe, gehen Sie davon aus, dass gleichgeschlechtliche Paare gleich wie heterosexuelle Paare zu behandeln sind?

Laura: Ja, es geht darum, etwas so existentiell Wichtiges wie ein Lebensbündnis mit einem Ritual zu bestärken und die Zweierbeziehung in einer Gemeinschaft zu verwurzeln. Diesen Anspruch sollten alle Menschen ohne Einschränkung haben können, egal mit wem sie Beziehungen leben.

aufbruch: Sie stellen mit andern Worten die Norm in Frage, die besagt, der Normalfall -sei die heterosexuelle Beziehung?

Hanna: Ja. Eine solche Hierarchie der Beziehungsformen ist diskriminierend.
aufbruch: Sie haben selbst eine solche Feier gemacht und sie als «Freundschaftsfeier» bezeichnet. Warum nicht als «Hochzeitsfest»?

Laura: Wir haben zwei Begriffe gebraucht: «Bekräftigungsfeier» und «Freundschaftsfest». Den Begriff «Bekräftigungsfeier» haben wir gewählt, weil wir unsere Liebe zueinander und unser Engagement in der Welt für uns, aber auch zusammen mit jenen Menschen, mit denen wir verbunden sind, bekräftigen wollten.

Hanna: «Freundschaftsfest» erinnert daran, wie bedeutsam Freundschaftsnetze für eine Partnerschaft sind. Paare, die versteckt leben, leiden oft am Isoliertsein. Eine Beziehung lebt auch von sozialen Netzen, in denen wir Austausch und Unterstützung finden.

Laura: Der Begriff «Hochzeit» deckt diese Aspekte nicht ab und ist zudem heterosexuell definiert. Wir wollten verhindern, dass unsere Feier mit den traditionellen Bildern überlagert wird.

aufbruch: Wäre es, um die Gleichwertigkeit auszudrücken, nicht wichtig, das Wort «Hochzeit» zu verwenden?

Laura: Das wäre wichtig gewesen, wenn wir die Feier als politischen Akt verstanden hätten, um eine grössere Öffentlichkeit zu provozieren. Wir haben uns anders entschieden.

Hanna: In diesem Fall hätten wir in einer Kirche gefeiert, einen Pfarrer angefragt und wären in der Zeitung erschienen. Es ist mir wichtig zu betonen, dass eine Feier, die nicht Hochzeit genannt wird, nicht minderwertig ist. Jede gerechte Beziehung, in der Menschen einander lieben und zum Wachsen verhelfen, ist für mich ein Sakrament, ein sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes.

Laura: Ich weiss auch von heterosexuellen Paaren, die ihr Lebensbündnis anders benennen, weil sie sich gegen die Bilder, Erwartungen und Zuschreibungen, die mit dem Wort Hochzeit verbunden sind, wehren.

aufbruch: Wie ist Ihr Entscheid, die Beziehung mit einem Ritual zu feiern, aufgenommen worden?

Hanna: Fast alle haben sehr positiv reagiert, ausser die Eltern.

Laura: Meine Eltern sind nicht gekommen, einzig die jüngste Schwester war da. Zwei Brüder habe ich nicht eingeladen, weil sie ignorieren, dass ich mit einer Frau lebe. Ich hatte nicht die Kraft, mit ihnen diese Auseinandersetzung zu führen.

aufbruch: Wie gehen Sie mit dieser Ablehnung von Seiten der Familie um?

Hanna: Als ich mein Coming-out hatte, sagte meine Mutter, die Tochter, die sie liebe, sei gestorben. Das war heftig. Aber es war ein ,wichtiger Prozess, und es ist schön, dass wir nun wieder einen Faden zueinander gefunden haben.

Laura: Ich hatte sehr lange das Gefühl, dass ich meinen Eltern nie werde sagen können, ich sei lesbisch. Ich wusste, dass ihre Beziehung zu mir daran zerbrechen könnte. Es ist über drei Jahre gegangen, bis die Eltern einen Schritt auf mich zu machen konnten. Mit der Mutter wurden mit der Zeit Gespräche möglich, mein Vater will mit mir bis heute nicht darüber reden, auch wenn er mich innerlich vermutlich akzeptiert hat.

aufbruch: Können Sie nachvollziehen, warum manche Familienangehörige soviel Mühe haben, Ihr Lesbischsein zu akzeptieren?

Hanna: Zuerst möchte ich da anfügen, dass meine beiden Schwestern von Anfang an sehr positiv reagiert haben. Auch mein Patenkind, ein Junge, hat unverkrampft reagiert, obwohl er von den traditionellen Bildern geprägt ist. Als er vier war, fragte er mich, ob ich heiraten werde. Ich liess ihn raten, wen. Er überlegte und sagte: «Mh, einen Mann». Ich habe ihm geantwortet: «Nein, nicht einen Mann, meine Freundin, die Laura.» Er meinte: «Aber Gotti, zwei Frauen, das geht nicht.» Ich erzählte ihm dazu die Geschichte «Des Kaisers neue Kleider». Darin sagen alle, der Kaiser trage ein wunderschönes Kleid, obwohl er nackt ist. So erklärte ich ihm, man müsse nicht auf alles hören, was die Leute sagen. Doch zurück zur Frage, warum Familienangehörige so ablehnend reagieren: Meine Mutter ist sicher geprägt von der Vorstellung, dass ein lesbisches Paar etwas Ekelhaftes und Widernatürliches sei.

Laura: Bei meinen Eltern hat die Ablehnung religiöse Hintergründe. Sie sind zu einer Zeit aufgewachsen, in der klar war, dass Homosexualität Sünde, wider die göttliche Ordnung ist. Meine Eltern waren eine ganze Woche krank, nachdem ich ihnen gesagt hatte, ich sei lesbisch.

aufbruch: Sie sind beide Theologinnen. Wie ist es für lesbische Frauen möglich, in einer Kirche Theologin zu sein, die Homosexualität bis heute ablehnt?

Hanna: Bei mir gab es während des Studiums zwei radikale Brüche. Zuerst realisierte ich, wie ich als Frau in der katholischen Kirche immer wieder gedemütigt werde. Dann merkte ich, dass ich als Lesbe hinausgedrängt werde. Nach der Lehre der katholischen Kirche exkommunizieren wir uns ja selber dadurch, dass wir unsere Beziehung leben. Dennoch gibt es Dinge, die mir in dieser Tradition wichtig sind, bei denen ich mitreden möchte. Wenn ich die Kirche verlasse, kann ich das nicht mehr. Und ich merke, dass diese Kirche trotz allem ein Gefäss sein kann, wo ich das einbringen kann, was mir wichtig ist;

Laura: Mir ist gar nicht daran gelegen, die Spannung, in dieser Kirche Lesbe und Theologin zu sein, zu überwinden. Was die Kirche zur Homosexualität lehrt, ist schlicht skandalös. Ich bin dennoch in der Kirche geblieben, denn ich habe realisiert, dass unsere Beziehung Ausdruck meiner Berufung ist. Ich gebrauche das Wort Berufung ganz bewusst. Die Erfahrung, dass Lesbischsein mein Weg ist, liebesfähiger zu werden, war sehr tief und beglückend. Ich habe keinen Moment daran gezweifelt, dass dies dem Willen Gottes für mein Leben entspricht – um diese Sprache zu gebrauchen. Wenn es anders wäre, hätte ich in meinem ganzen bisherigen Leben nichts davon begriffen, was das Evangelium mit Gott meint. Ich bleibe in der Kirche, weil es auch da immer noch Menschen gibt, mit denen ich an etwas bauen kann, wofür auch Jesus lebte.

Hanna: Bei mir kam es zu einer wichtigen Akzentverschiebung. Ich merkte, dass es mir nicht mehr so sehr um den Aufbau und die Erhaltung der Kirche geht, sondern um die Mitarbeit am Rech Gottes.

aufbruch: Was verstehen Sie darunter?

Hanna: Reich Gottes hat für mich mit Gerechtigkeit zu tun. Es hat zu tun mit dem biblischen Wort «shalom», mit der Mahlgemeinschaft, von der niemand ausgeschlossen ist. Reich Gottes ist da, wo neue Lebensmöglichkeiten gesucht und entdeckt, wo herrschende Kategorien durchbrochen werden.

aufbruch: Sie scheinen der Auffassung zu sein, dass die katholische Kirche nicht verstanden hat, worum es im Evangelium geht?

Laura: Das wäre wohl etwas vermessen. Ich weiss einfach, dass das katholische Lehramt in Bezug auf Homosexualität massiv irrt. Was es diesbezüglich lehrt, ist wider das Evangelium. Das sage ich aufgrund meiner existentiellen Erfahrung. Als ich begann, mich zu akzeptieren, mein Lesbischsein bewusst zu entfalten und als Gabe zu sehen, war das ein riesiger Zuwachs an Lebensqualität. Was anderes sollte denn mit den Worten Jesu gemeint sein: «Ich bin gekommen, dass ihr das Leben habt, das Leben in Fülle?» (Joh 10,10).

Hanna: Mir fällt spontan das Bild ein von der gekrümmten Frau, die aufgerichtet wird. Auch hier scheint das Reich Gottes auf. Die Kirche aber krümmt so oft Menschen und verbaut ihnen damit den Zugang zum Göttlichen.

* Beide Frauen arbeiten mit bei Tagungen für lesbische Frauen in den Kirchen, die jedes Jahr vom Verein lesbischer Theologinnen und der HuK-Frauengruppe veranstaltet werden. Aufgrund des repressiven Klimas in der katholischen Kirche gegenüber Lesben und Schwulen wollen die Gesprächspartnerinnen nicht namentlich genannt werden.

Erschienen im «aufbruch» 6/1998

Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des «aufbruchs», Zeitung für Religion und Gesellschaft.

Den «aufbruch» kann (und soll frau und mann) abonnieren: www.aufbruch.ch