zur Broschüre: «Homo – Ehe?! Nein zum Ja-Wort» der Seelsorgeorganisation «Wüstenstrom»
Dr. Udo Rauchfleisch, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Basel Psychotherapeut in privater Praxis in Binningen, Schweiz
Vorbemerkung von Zwischenraum: Im September 2000 verteilte die Seelsorgeorganisation Wüstenstrom ihre Broschüre «Nein zum Ja-Wort – 8 Thesen zum Lebenspartnerschaftsgesetz» mit einer Auflage von 45.000 Stück, um sich öffentlich gegen das Gesetz der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft auszusprechen und dadurch auch politisch Einfluss zu nehmen.
Professor Dr. Udo Rauchfleisch hat sich dankenswerterweise dazu bereit erklärt, für ZWISCHENRAUM eine Stellungnahme zu dieser Broschüre zu schreiben.
Es zeugt von wenig Fachwissen, wenn in der Broschüre «Homo – Ehe!? Nein zum Ja-Wort» der Ex-Gay- Organisation «Wüstenstrom» ausgeführt wird, die gleichgeschlechtlichen Orientierungen seien «erwiesenermassen» nicht angeboren, und man könne mit den Sexualwissenschaften «davon ausgehen, die sexuelle Orientierung sei veränderbar» (wobei bezeichnenderweise nie davon gesprochen wird, man könne die heterosexuelle auch in eine homosexuelle Orientierung «verändern»)
Unterzieht man die von den Verfassern der Broschüre herangezogenen Quellen einer genaueren Prüfung, so zeigt sich schnell, dass die zitierte Literatur – in tendenziöser Weise – nur ausschnittsweise referiert wird, und dies ganz offensichtlich mit dem Ziel, Homosexualität zu pathologisieren und gleichgeschlechtlich empfindende Menschen unter massiven Druck zu setzen, ihre sexuelle Orientierung zu verändern.
Wenn von den Verfassern dieser oder anderer ähnlicher Broschüren überhaupt psychiatrische oder psychologische Autoren (es sind interessanterweise ausschliesslich Männer) herangezogen werden, sind es in der Regel stets die gleichen, nämlich Socarides, Nicolosi und van den Aardweg, Autoren, die in Fachkreisen völlig unbekannt sind und mit ihrer einseitig die Homosexualität pathologisierenden Sicht nicht mehr der heute vertretenen Ansicht entsprechen. So wird die Homosexualität schon seit vielen Jahren nicht mehr als Diagnose in den international verwendeten Diagnosekatalogen geführt, und in Fachkreisen hat sich mehr und mehr die Ansicht durchgesetzt, Homosexualität als eine der Heterosexualität gleichwertige Variante des sexuellen Begehrens zu betrachten.
Die uns heute vorliegenden humanwissenschaftlichen Forschungsergebnisse lassen erkennen, dass die sexuellen Orientierungen homosexueller wie heterosexueller Art einerseits auf genetische Dispositionen beruhen und andererseits, von diesen Dispositionen ausgehend, sehr früh im Leben eine in ihrer Grundstruktur nicht veränderbare Ausformung erfahren. Gewiss sind im Verlauf des weiteren Lebens Änderungen des sexuellen Verhaltens möglich, vor allem wenn, wie in evangelikal – fundamentalistischen Kreisen, die Bezugsgruppe eines Menschen einen starken Druck auf ihn ausübt. Das Resultat solcher Beeinflussung von aussen ist aber höchstens eine Änderung des Sexualverhaltens, d.h. in diesem Fall der Wechsel von gleichgeschlechtlichen zu gegengeschlechtlichen Partnerinnen und Partnern.
Die eigentliche sexuelle Orientierung mit den daran geknüpften Gefühlen, den erotischen und sexuellen Phantasien sowie den sozialen Präferenzen lässt sich jedoch nicht verändern. Die vielen Beispiele von gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen, die unter massivem Druck von aussen eine Veränderung vorgenommen haben (d.h. angeblich «geheilt» waren) und über kurz oder lang wieder entsprechend ihrer ursprünglichen sexuellen Orientierung leben, legen ein beredtes Zeugnis für diese prinzipielle Unveränderbarkeit der sexuellen Orientierung ab.
Häufig wird die Änderung im Sexualverhalten mit schweren Depressionen, zentralen Selbstwertproblemen und tiefer Verzweiflung erkauft und kann bis zum Suizid der betreffenden Menschen führen, die an dem Konflikt zwischen dem äusseren und dann von ihnen verinnerlichten Druck einerseits und dem Gefühl, ein Leben im Gegensatz zu ihrer sexuellen Orientierung zu führen, zerbrechen. Hier muss man eindeutig von einem Missbrauch und einer Schädigung durch sogenannte therapeutische oder seelsorgerliche Interventionen sprechen. Dabei ist besonders fatal, dass die Mehrzahl derer, die solche «Umpolungen» durchführen, keine psychotherapeutisch fundiert ausgebildeten Fachleute sind. Es ist deshalb wichtig, dass die medizinischen und psychologischen Fachverbände eindeutig Stellung nehmen gegen derartige unprofessionelle und ethisch nicht vertretbare Aktivitäten.